Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Bankern und Vorsitzenden von internationalen Organisationen wie Weltbank und Währungsfonds. Ein erneutes Zittern befiel sie. Mit feuchter Hand zog sie die Nachttischschublade auf. Sie nahm die Bibel, die die Gideons für jedes Hotel, in dem man sie gewähren ließ, gespendet hatten, beiseite. Darunter fand sie drei englischsprachige Magazine. Zuoberst lag die ›Businessweek Bloomberg‹, darunter die ›Forbes‹ und schließlich die ›The Economist‹. Behutsam nahm sie die Zeitschriften zur Hand und blätterte sie durch. Von ihrem Inhalt verstand sie nicht ein Wort. Sie hielt die Zeitung etwas ungeschickt. Während sie Seite für Seite durchblätterte, segelte ein Blatt in etwa DIN-A5-Größe zu Boden. Schnell bückte sie sich und hob es auf. Es war von oben bis unten handschriftlich beschrieben, mit kleiner, akkurater Schrift, deren Worte Annette jedoch in Ermangelung der Kenntnis der englischen Sprache nicht entziffern konnte.
Sie grämte sich nicht darüber, schließlich war es nicht ihre Aufgabe zu verstehen, sondern nur zu beschaffen. Also legte sie das Blatt auf das Bett, fotografierte erst die eine, dann die andere Seite und wollte es in das Magazin zurücklegen. Doch zwischen welchen Seiten hatte es gesteckt? Sie wusste es nicht mehr. Neuer Schweiß brach ihr aus. Er wird es auch nicht mehr wissen, dachte sie und schob das Blatt irgendwo in der Mitte dazwischen.
Die anderen Magazine waren bis auf Werbebroschüren ohne persönliche Vermerke und Zettel. Sie fand Eselsohren an Seiten, auf denen Chartkurven erfolgreicher Aktienkurse abgebildet waren. Gleichgültig las sie ›Berkshire Hathawy‹, nicht wissend, dass es sich um eine Beteiligungsgesellschaft handelte, die Warren Buffet, einem der reichsten Männer der Welt, gehörte.
Sie legte die Zeitschriften genauso wieder zurück, wie sie sie vorgefunden hatte, und ging zum Schrank. Wie schon im vorigen Zimmer durchsuchte sie Hemden, Hosen, Unterwäsche – saubere wie schmutzige –, die Socken und die Jacken. Alles schien akribisch und durchdacht an seinem Platz zu hängen und zu liegen.
Mit nichts Ungewöhnlichem, was man verwerten könnte, verließ sie die Suite und ging nach nebenan, wo sich das kleine Appartement eines Professors mit russischem Namen befand. Sie öffnete es und fand es aufgeräumt vor. Die Garderobe wirkte bescheiden und einfach. Ein schrulliger Professor eben, dachte Annette, während sie auf dem Weg von einem in das benachbarte Zimmer war. Als sie die Tür öffnete, fiel ihr Blick auf die Stelle, wo der Safe fest in der Wand verankert war. Sie erschrak und realisierte erst spät, was in diesem Moment mit ihr geschah.
Der Safe war geöffnet und etwa 40 maschinengeschriebene Seiten, die aus einem Hefter herausgelöst waren, lagen zuoberst. In der Fußzeile erkannte sie die Seitenzahlen und warf einen schnellen Blick darauf. Es schien nichts zu fehlen, es sei denn, es waren zuvor mehr Seiten vorhanden gewesen. Mit dieser Situation hatte sie nicht gerechnet. Sie erfasste mit ihrem einfachen Bildungsstand nicht, worum es sich hier handelte, realisierte aber dennoch, dass ein Haufen Papiere außerhalb eines Safes bei geöffneter Tür nichts Normales war. Entweder war hier besagte Vergesslichkeit, die Tür nach der Entnahme wieder zu schließen, am Werk gewesen oder es hatte sich tatsächlich jemand im Raum zu schaffen gemacht, der in der Lage war, den Safe zu öffnen und brisantes Material zu sichten. Jemand, der die Unterlagen nicht stehlen, sondern nur, wie sie auch, fotografieren wollte. Doch warum hatte er die Schriftstücke nicht zurückgelegt und die Tür wieder verschlossen? War er vielleicht gestört worden, bevor er sein Vorhaben beenden konnte?
Unschlüssig, was zu tun sei, griff sie nach ihrem Handy und wählte die ihr bekannte Nummer.
»Du solltest mich doch nicht anrufen. Bist du wahnsinnig? Ich kann nicht.« Dutroit flüsterte zischend ins Handy. Zwei Köpfe drehten sich nach ihm um.
»Ich weiß aber nicht, was ich machen soll. In Suite 204 ist der Safe offen und Papiere liegen obendrauf. Es sind so furchtbar viele.«
Dutroit überlegte eine Sekunde und ordnete die Zimmernummer der dazugehörigen Person zu.
»Oh, verdammt! Scheiße!«
Dutroit wandte sich ab. Er hantierte gerade in der Küche mit Töpfen und suchte sich rasch eine Ecke, in der er sich ungestört wähnte. »Mach von allem Fotos. Schnell. Sie sind beim Dessert. Beeil dich. Mach die Fotos und schick sie gleich auf den Server, so wie ich es dir
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