Schattennächte: Thriller (German Edition)
an der Zeit ist, die Schlange zu jagen.«
Mendez fiel die Walther PPK ein, von der Lauren ihm erzählt hatte, und das Foto, das sie beim Verlassen der Schießanlage zeigte. Wenn Ballencoa das Foto gemacht hatte, dann wusste er, dass sie eine Pistole hatte. Unter diesen Umständen war das alles tatsächlich ein Spiel für ihn, dachte Mendez, als er das Foto unter den Scheibenwischer ihres Autos klemmte.
Wie hatte Tanner ihn beschrieben? Er war wie der kleine Scheißer in der Klasse, der dich wegen eines Kaugummis beim Lehrer verpfiff und in seiner Freizeit Fliegen die Flügel ausriss.
Gut vorstellbar, dass er Lauren Lawton terrorisierte, indem er ihre Tochter fotografierte, und dann zum Sheriff lief und sich beschwerte, dass sie ihn verfolgte.
»Und jetzt?«, fragte Hicks.
Mendez erwiderte nichts.
»Hat sich dadurch irgendetwas geändert?«, fragte Tanner. »Ballencoa ist nach wie vor ein perverser Verbrecher. Vielleicht sogar ein Mörder. Weiß Gott, keiner von uns hat ernsthaft etwas unternommen, um ihn aufzuhalten. Wer könnte es Lauren vorwerfen, dass sie das jetzt selbst erledigen will, indem sie ihm eine Kugel zwischen die Augen jagt?«
»Der Staat Kalifornien würde ihr das vorwerfen«, sagte Mendez. »Sie kann nicht einfach das Gesetz brechen, weil wir es nicht geschafft haben, es durchzusetzen.«
»Dann sollten wir schnell eine Möglichkeit finden, diesen Scheißhaufen von der Straße zu kriegen«, sagte Tanner und drehte sich wieder zu dem Tisch um, wo die Akten ausgebreitet lagen. »Bevor Lauren Lawton das für uns übernimmt.«
46
Lauren hatte keine Ahnung, wie sein Tagesablauf aussah. Sie stellte sich vor, dass er wie ein Vampir lebte – tagsüber schlafen, nachts auf Streifzug gehen. Aber als sie dann das erste Mal zu seinem Haus gefahren war, war es früher Morgen gewesen, und Ballencoa war gerade durch die Tür getreten und losgefahren, so wie ein ganz normaler Mensch, der ganz normal zur Arbeit aufbricht.
Für das, was sie vorhatte, wäre es besser, wenn er im Moment nicht zu Hause wäre, sondern hinter irgendeiner armen, arglosen jungen Frau herjagte. Und doch gab es eine Instanz in ihr, die sich vorstellte, dass er da war, dass er verletzlich war, dass sie ihm eine Waffe an den Kopf hielt und die Antworten aus ihm herauspresste. Sie stellte sich vor, wie ihm der Schweiß über das schmale, knochige Gesicht lief, wenn sie den Lauf ihrer Waffe an seine Schläfe drückte, um ihn sanft daran zu erinnern: Ich werde dich töten .
Die Vorstellung, eine solche Macht über ihn zu haben, war fast so berauschend wie der Wodka, mit dem sie sich Mut angetrunken hatte.
Der Tag war heiß und sonnig. Das Licht war gleißend hell. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie von jemandem gesehen wurde, war ziemlich hoch. Wenn sie nicht wegen Körperverletzung ins Kittchen wanderte, dann wahrscheinlich wegen Einbruchs.
Sie versuchte, nicht daran zu denken. Sie durfte einfach nicht versagen. Wenn Roland mit den finstersten, ekelhaftesten Absichten in die Wohnungen seiner Opfer eindringen konnte, dann sollte sie das mit einem gerechten Ziel auch können.
Sie stellte ihr Auto in der nächsten Querstraße ab und ging mit gesenktem Kopf und tief ins Gesicht gezogener Baseballkappe zu seinem Grundstück. Sie trug eine unschuldig aussehende Leinentasche, die gegen ihre Hüfte schlug. In der Tasche befanden sich mehrere Werkzeuge – ein Hammer, ein Schraubenzieher, ein Teppichmesser. Dinge, von denen sie annahm, dass sie bei einem Einbruch von Nutzen sein könnten.
Mit Jeans, Turnschuhen, T-Shirt, Baseballkappe und Sonnenbrille, hinter der sie ihre Augen und die Prellung an der Wange versteckte, könnte man sie für eine Studentin am McAster halten, die von einem morgendlichen Seminar nach Hause ging. Sie wirkte völlig normal. Sie hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und hielt den Kopf gesenkt. Ihr Herz raste, aber sie zwang sich, langsam zu gehen.
Die Straßen lagen ruhig da. Die meisten Leute hier arbeiteten wahrscheinlich tagsüber. Nichts deutete darauf hin, dass Kinder in einem der Häuser wohnten – kein Spielzeug im Garten, keine Bonanza-Fahrräder, mit denen sie die Straße rauf und runter rasten. Vielleicht würden also keine jungen Mütter am Küchenfenster stehen und beobachten, wie sie die Straße hochging. Die Leute hier mähten ihren Rasen abends oder am Wochenende selbst. Keine Gärtner, die das übernahmen.
Lauren bog in den schmalen Weg zwischen den Grundstücken ein und widerstand der
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