Schattennaechte
wegnehmen, wenn er die Möglichkeit dazu hat? Was soll ich denn tun?«
»Ich weiß es nicht!«, rief Leah und trommelte mit den Fäusten auf das Autodach. »Ich habe es satt! Ich habe es satt, so zu leben, wie wir leben! Daran ist nur Leslie schuld! Das wäre alles nicht passiert, wenn sie sich nicht immer wie eine Prinzessin hätte aufführen müssen! Ich wünschte, sie wäre tot! Ich wünschte, wir wüssten, dass sie tot ist, damit wir endlich wieder wie normale Menschen leben können!«
Lauren zuckte zusammen, als hätte ihre Tochter ihr eine Ohrfeige gegeben. Wenn nicht das Auto zwischen ihnen gestanden hätte, hätte sie zurückgeschlagen.
»Das ist nicht gerecht«, fuhr Leah fort. »Sie ist weg, und wir müssen leiden und leiden und leiden!«
»Es ist doch nicht Leslies Schuld, dass sie entführt wurde!«, rief Lauren.
»Doch!«, rief Leah. »Ihr hattet ihr verboten, das Haus zu verlassen, und sie hat es trotzdem getan. Ihr hattet ihr verboten, mit fremden Männern zu sprechen, und sie hat es trotzdem getan. Vielleicht ist sie ja nur in das Auto eingestiegen, weil sie zu faul dazu war, ihr Fahrrad zu schieben. Es ist alles ihre Schuld, weil sie sich immer für so furchtbar schlau gehalten hat.«
»Leah!«
»Ist doch wahr! Ich hasse sie!«, rief Leah, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Sie hat unser Leben kaputt gemacht, und wir sollen auch noch herumlaufen und immerzu die arme Leslie bedauern. Ich hab keinen Bock mehr darauf!«
Von der Wut ihrer Tochter erschreckt, stolperte Lauren einen Schritt zurück. Sie drehte ihr den Rücken zu, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Leah war die Nette, Brave. Leslie war diejenige, die immer ihren eigenen Kopf gehabt hatte. Leslie hatte herumgeschrien. Leslie hatte mit ihr gestritten. Aber doch nicht Leah.
Und doch klang ihr noch das verzweifelte Weinen ihrer jüngeren Tochter im Ohr: Was ist mit mir?
Was war mit Leah? Sie hatte ihre Tochter mit auf diese verrückte Mission genommen, hatte sie in Gefahr gebracht, ihr das letzte bisschen Kindheit geraubt. Was war mit Leah …
Hinter ihr fiel eine Autotür zu, und Lauren zuckte wie bei einem Pistolenschuss zusammen. Leah saß im BMW und wischte sich wütend die Tränen von den Wangen.
Lauren stieg ein, was sollte sie sonst auch tun. Genau so geht es die ganze Zeit , dachte sie. Wir tun so, als wäre alles normal . Ihre Welt war derart aus dem Gleichgewicht, dass sie nicht mehr wusste, was normal war.
Normal war mittlerweile, eine Waffe bei sich zu tragen.
Normal war mittlerweile, Tabletten zu nehmen, um schlafen zu können, und Alkohol zu trinken, um den Schmerz des Wachseins zu ertragen.
Normal war mittlerweile, dass sie besessen war von einer Tochter, die sie nicht mehr hatte, und dabei die Tochter, die sie noch hatte, vernachlässigte.
Normal war mittlerweile hässlicher, brutaler Sex mit einem Mann, den sie nicht leiden konnte, und das Angebot, einen Mann ermorden zu lassen, den sie hasste.
Ich will nur, dass es aufhört , hatte Leah gesagt.
Ich auch , dachte Lauren.
Wie eine steinerne Mauer richtete sich das Schweigen zwischen ihn auf, während Lauren den Motor anließ und durch das Tor fuhr.
Nach zehn Minuten ergriff sie erneut das Wort.
»Ich liebe dich, Leah«, sagte sie. »Denk bitte nie, dass ich dich weniger liebe als Leslie. Wenn du mir weggenommen worden wärst, würde ich genauso für dich kämpfen.«
Leah starrte auf ihre Hände in ihrem Schoß. »Ich habe Angst, Mommy. Ich habe Angst, dass dir etwas Schlimmes passiert«, sagte sie leise.
Lauren antwortete ihr nicht gleich. Sie überlegte, was sie sagen sollte, und entschied dann, dass Offenheit das Beste war.
»Du wärst nicht allein«, sagte sie. »Wenn mir jemals etwas passiert – und ich sage nicht , dass es so sein wird –, sollst du wissen, dass man sich um dich kümmern wird, Schätzchen. Deine Tante Meg würde sich um dich kümmern …«
»Hör auf«, fuhr Leah sie an. »Du machst mir Angst!«
»Ich will dir keine Angst machen. Ich will nicht, dass du dich fürchtest.«
»Hör auf! Ich will nicht mehr darüber reden!«
Auf der Ranch angekommen, sprang Leah aus dem Auto, knallte die Tür zu und rannte zu den Ställen. Lauren sah ihr nach, die Worte ihrer Tochter hallten in ihrem Kopf wider: Du sollst machen, dass es aufhört.
Es musste aufhören. Um ihrer beider willen. Roland Ballencoa hatte bereits ihre halbe Familie zerstört. Sie konnte nicht zulassen, dass er auch noch den Rest zerstörte, weil
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