Schattennaechte
angefangen aufzubegehren. Wie alle Jugendlichen hatte sie rebelliert. Sie hatte nie mit Alkohol oder Drogen herumexperimentiert. Sie war noch nie allein mit einem Jungen ausgegangen. Ein einziges Mal hatte sie sich davongeschlichen, als sie Hausarrest hatte.
Und da hatte Roland Ballencoa auf sie gelauert.
Lauren schlug das Buch zu. Sie kämpfte mit den Tränen. Hilflos stand sie in Roland Ballencoas Schlafzimmer und wusste nicht, was sie tun sollte. Was würde Mendez sagen, wenn sie ihm das Buch gab, was würde er damit tun? Erst einmal würde er wissen wollen, wie es ihr in die Hände gefallen war.
War das nicht egal? Die eigentliche Frage lautete doch, was es bewies. Dass Ballencoa sich für Leslie interessiert hatte? Er hatte sich für viele Mädchen interessiert. Nur eines von ihnen war verschwunden.
Aber auch wenn das Buch nichts bewies, so wusste sie doch, dass Ballencoa ausflippen würde, wenn es nicht mehr da wäre. Er hatte sich Mühe mit dem Versteck gegeben. Wenn sie es ihm wegnahm, würde er es zurückhaben wollen. Was würde er dafür riskieren?
Lauren riss ein Blatt heraus und schrieb mit einem Stift, den sie in der Schublade des Nachttischchens gefunden hatte, etwas darauf. In dem Moment, als sie die Nachricht auf den Bettrost legte, wurde draußen eine Autotür zugeschlagen.
Das Geräusch durchfuhr sie wie ein Pistolenschuss.
Wenn das Ballencoa war, konnte sie nicht mehr durchs Wohnzimmer zur Hintertür in der Küche.
Rasch nahm sie die vier Notizbücher und warf sie in ihre Tasche. Ihr war schwindlig vor Herzrasen. Hier in diesem Zimmer gab es nichts, wo sie sich verstecken konnte.
Sie ging zum Fenster, das in den Garten führte. Mit tauben Fingern fummelte sie am Riegel herum.
Vielleicht war es ja irgendein Nachbar oder ein Besucher, der sein Auto am Straßenrand abgestellt hatte und ausgestiegen war. Vielleicht auch ein Staubsaugervertreter oder ein Missionar, der die frohe Botschaft verbreiten wollte.
Da wurde ein Schlüssel ins Haustürschloss gesteckt.
Das alte Fenster knarrte und verkantete sich, als sie versuchte, es hochzuschieben.
Dann endlich hatte sie es geschafft und sprang hinaus.
Sie traf mit der Schulter auf dem Boden auf, rollte sich stöhnend ab und rappelte sich hoch. Schwankend stolperte sie zu dem Schuppen im hinteren Teil des Gartens und duckte sich dahinter.
Ihre Lunge brannte. Ihr Herz raste. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an. Sie presste eine Hand auf den Bauch, tastete nach der Waffe, die dort verborgen war. Mit der anderen Hand hielt sie ihre Tasche umklammert.
Sie wollte wissen, wo Ballencoa war. War er in sein Schlafzimmer gegangen? Hatte er das Chaos dort entdeckt? Hatte er ihre Nachricht entdeckt? Hatte er sie weglaufen sehen?
Sie wusste es nicht, konnte aber auch nicht bleiben, um es herauszufinden. Es war gut möglich, dass er durch die Hintertür trat, während sie dastand und nach Luft rang.
Wenn sie nach links rannte und den kürzesten Weg zu ihrem Auto nahm, war sie von Ballencoas Garten aus zu sehen. Wenn sie nach rechts rannte und dem Weg folgte, musste sie um den halben Block. Dort konnte er sie leicht einholen.
Sie überlegte fieberhaft, dann lief sie zehn Meter den Weg entlang, bog nach links ab und verschwand zwischen zwei Hecken, deren Äste nach ihr griffen, als sie sich hindurchzwängte. Endlich erreichte sie den Bürgersteig und sah etwa fünf Meter von ihr entfernt ihr Auto stehen.
Sie wusste nicht, ob jemand sie gesehen hatte. Sie betete, dass niemand im Büro des Sheriffs angerufen hatte, um zu melden, dass sich eine verdächtige Frau in der Nachbarschaft aufhielt.
Im Auto fühlte sie sich sicherer, trotzdem zitterten ihre Hände, als sie versuchte, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Leise schnurrend sprang der Motor an. Lauren legte den Gang ein und fuhr langsam los, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, aufs Gas zu treten.
Sie war in Sicherheit. Das war im Moment das Wichtigste, auch wenn sie wusste, dass diese Sicherheit von kurzer Dauer war.
Vor ihrem inneren Auge sah sie die Nachricht, die sie auf Roland Ballencoas Bettrost hinterlassen hatte: Jetzt habe ich etwas, das du willst.
47
Mendez fuhr bis ans Ende der Old Mission Road und parkte dort. Lauren Lawton war nicht ans Telefon gegangen, und ihr BMW stand nicht in der Einfahrt. Das beunruhigte ihn.
Wieder sah er vor sich, was sie auf Ballencoas Nachricht geschrieben hatte: Wenn wir uns wiedersehen, dann in der
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