Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
Vom Netzwerk:
keine Aufmerksamkeit zu erregen. Vermutlich gingen einige ›Hock‹-Besucher auf dem Nachhauseweg direkt an der Kirche vorbei.
    Auf dem ersten Zwischenboden bei den Funkanlagen blieb Faller stehen, um den beiden anderen eine kurze Verschnaufpause zu gönnen. Es schien so, als habe der schlanke Stumper weniger Kondition als der wohlbeleibte Leichenbestatter. »Der hätt sich auch einen anderen Platz aussuchen können«, meinte Leichtle und keiner der beiden anderen wusste so recht, was er darauf sagen sollte. Ein metallisches Klicken ließ sie aufhorchen. »Viertel vor eins«, kommentierte Faller beruhigend. Über ihnen erfolgte der dreimalige Doppelschlag.
    Dann entschied Faller, weiter hochzusteigen. »Nicht erschrecken, es stinkt«, warnte er seinen Hintermann, doch war der längst weitaus Schlimmeres gewohnt. Bahnleichen zum Beispiel. Obwohl im Laufe des langen Berufslebens mit der ganzen Bandbreite menschlicher Schicksale konfrontiert gewesen, waren dies noch immer die grausigsten Anblicke. Leichtle hatte nie begriffen, weshalb sich ein Mensch vor einen Zug werfen konnte. Im Vergleich zu dem Anblick, der sich ihm in solchen Fällen entlang des Gleises bot, war eine leicht verweste Leiche doch reines Routinegeschäft. Schließlich würde jeder Mensch einmal verwesen. Ein ganz normaler Vorgang und von der Natur so gewollt.
    Stumper blieb auf den letzten Stufen zurück, wo ihnen nicht nur das grelle Licht der brennenden Leuchtstoffröhren entgegenschlug, sondern auch dieser unerträgliche Geruch. Leichtle ging schwer atmend auf den Toten zu. »Simbach, tatsächlich«, stellte er fest und besah sich ein paar Sekunden lang die Umgebung – das metallene Glockengestühl, alte Holzbalken, Motoren, elektrische Leitungen, Spinnweben. »Nichts Außergewöhnliches festzustellen.«
    Faller schluckte, denn auch ihm verursachte der Gestank ein unangenehmes Kratzen im Hals. »Ja, Herzinfarkt. Schon gestern. Für Doktor Lutz besteht gar kein Zweifel. Er hat das auch so auf den Totenschein geschrieben.«
    »Und was hat Simbach hier oben gemacht?« Leichtle lachte kurz auf. »Hat er mal wieder was an die große Glocke hängen wollen?« Wieder dieser schwarze Humor, den dieser Mann wie ein Schutzschild brauchte, um schreckliche Ereignisse fernzuhalten. Jetzt aber spürte er sofort, dass den beiden anderen nicht nach Späßen zumute war, weshalb er einen sachlicheren Ton anschlug: »Hat er was bei sich gehabt?«
    »Wir haben nichts angerührt«, erklärte Faller, während Stumper noch immer auf der Treppe stand.
    Leichtle streifte sich dünne Plastikhandschuhe über, die er offenbar stets in seinen geräumigen Hosentaschen bei sich trug, zwängte sich zwischen Glockenstuhlgestänge und der grauen Wand zu dem Toten, dessen Oberkörper entblößt war. Die Augen waren weit geöffnet, die wenigen Haare ungekämmt. Er hob das zerschnittene Hemd an, das der Arzt auf die Beine der Leiche gelegt hatte. In der Brusttasche fand sich ein kleines Handy, das der Leichenbestatter herauszog und Faller weiterreichte: »Nehmen Sie das mal. Ist es eingeschaltet?«
    »Ja, hier wird ein Anruf in Abwesenheit angezeigt.« Er steckte das Gerät in eine Hosentasche.
    Leichtle tastete die vielen großen und kleinen Taschen der Outdoorhose ab. »Geldbeutel, Schlüsselbund«, stellte er fest und legte es neben den Toten.
    »Und wie geht das jetzt weiter?«, fragte Faller.
    Leichtle streifte sich die Plastikhandschuhe wieder ab und legte sie neben einen Metallpfeiler. »Ich ruf meinen Sohn an, dann nehmen wir ihn mit«, erklärte er. »Alles Weitere muss Frau Simbach entscheiden.«
    »Und die Polizei?« Es war Stumpers Stimme, die dumpf aus dem Halbdunkel des Treppenabgangs kam.
    »Polizei, wieso Polizei? Besteht irgendein Zweifel an dem, was der Doktor sagt?«
    Die beiden Männer schwiegen – und der Leichenbestatter griff zu seinem Handy. Während er die Kurzwahltaste drückte, sah er zu dem Toten hinüber: »Erzählt mir jetzt bloß nicht noch die Story vom großen Unbekannten, der im Kirchturm lauert.« Am liebsten hätte er einen Witz gerissen, aber er verkniff es sich.

5
     
    Sabrina Simbach hatte die Nachricht vom Tode ihres Mannes an ihrem Getränkestand entgegengenommen. Pfarrer Kustermann war behutsam vorgegangen und aufs Schlimmste gefasst gewesen. Doch anstatt in Tränen auszubrechen, starrte sie ihn sekundenlang nur an. »Tot?«, fragte sie schließlich ungläubig. »Er ist tot?« Sie sprach so laut, dass Sergije, ihr junger Mitarbeiter, beim

Weitere Kostenlose Bücher