Schattennetz
Ehefrau einen Leichenbestatter beauftragen. Es wird nicht einfach sein, den Leichnam da runterzubringen«, konstatierte Lutz.
»Und Polizei? Sie meinen, wir können das einfach so regeln? Ohne Polizei?« Faller war irritiert.
»Warum die Polizei? Es gibt keinen Verdacht auf ein Fremdverschulden.«
Der Kirchengemeinderat nickte. »Wenn Sie das so sagen …«
Stumper hatte sich in eine Kirchenbank gesetzt und tief durchgeatmet. Die Musik von draußen, die in dem finstren Raum verzerrt widerhallte, nahm er gar nicht mehr wahr. Mit einem Schlag war seine weinselige Laune verschwunden. Simbach tot im Glockenstuhl. Und alle würden vermuten, dies sei während seines Orgelspiels geschehen. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, was ihm nicht gelang, weil er feststellte, dass die alte Mesnerin offenbar die Kirche verlassen hatte.
Erst als er die Tür auf der Empore einrasten hörte und Männerstimmen zu vernehmen waren, wurde er sich bewusst, ebenfalls Teil dieses schrecklichen Geschehens zu sein. Er stand auf und erwartete Faller und Lutz, die aus dem Turm zurückkamen.
»Herzinfarkt«, erklärte Faller knapp. »Wir müssen seine Frau verständigen.«
Dr. Lutz setzte sich, legte seinen Koffer neben sich und holte Dokumente heraus. »Könnten Sie mir leuchten?« Die Bitte galt Faller, der sogleich den Strahl der Taschenlampe auf ein Schreibbrettchen richtete, das der Arzt auf den Schoß nahm. Er füllte ein Formular aus, ließ sich den genauen Namen des Toten sagen und notierte auch Fallers Personalien. Dann unterschrieb er und riss einen Teil des Formulars ab. »Für die Ehefrau«, erklärte er und reichte das Dokument Faller. Damit war die medizinische Seite des Falles abgeschlossen. »Ich werd mich morgen telefonisch mit Frau Simbach in Verbindung setzen. Wegen der Kosten.«
Natürlich, die Kosten, dachte Stumper. Der Mensch war bis zu seinem letzten Atemzug ein Kostenfaktor.
Der Arzt verabschiedete sich und ließ sich von Faller durch das Nordportal ins Freie bringen. Der Regen hatte inzwischen aufgehört.
»Jetzt sind wir dran«, meinte Faller und sah zu Stumper, der gar nicht ganz bis zur Tür gekommen war und am liebsten mit der Angelegenheit nichts zu tun gehabt hätte. »Ich ruf den Pfarrer an«, entschied der Kirchengemeinderat. »Er soll auch Frau Simbach informieren.« Faller zog sein Handy aus dem Brusttäschchen des Hemdes und suchte die Nummer von Cornelius Kustermann. Während er die Ruftaste drückte, hoffte er inständig, dass der Pfarrer sein Handy hören würde. Nur dann konnten sie die Verantwortung loswerden.
Stumper verspürte Magenkrämpfe. Beim Gedanken an die nächsten Stunden, in denen sie mit Frau Simbach und mit dem Leichenbestatter konfrontiert werden würden, überkam ihn Übelkeit. »Das wird noch einen großen Aufruhr geben.«
Faller ging auf diese Bemerkung nicht ein. Er war erleichtert, als sich Kustermann meldete, hatte aber Mühe, ihn zu verstehen. Mit wenigen Sätzen erklärte der Kirchengemeinderat sachlich und emotionslos, worum es ging. Der Stadtpfarrer, der gerade erst das Fest verlassen hatte und sich jetzt nebenan im Pfarrhaus befand, versprach, sofort zum Nordportal der Kirche zu kommen.
Wenig später – vom Turm ertönte der zweimalige Doppelschlag für die halbe Stunde – war er da. Sie kamen überein, den Leichenbestatter zu rufen und gleichzeitig diskret Frau Simbach zu informieren, die sich vermutlich noch an ihrem Getränkestand aufhielt. Faller suchte aus dem Speicher seines Handys die Nummer von Leichenbestatter Leichtle, die jeder, der in dieser Stadt am öffentlichen Leben beteiligt war, abrufbereit haben musste. Nicht eines unerwarteten Todesfalles wegen, sondern weil Leichtle zu fast allen Themen ein Ansprechpartner war, sich für eine neue Umgehungsstraße ebenso stark machte wie für ein Seniorenzentrum und auch sonst stets ein offenes Ohr für die Belange der Bürger hatte.
Ihn zu erreichen, war nicht schwierig. Er trug sein Handy Tag und Nacht bei sich, und wo man nicht telefonieren durfte oder es zu laut war, um die Klingeltöne zu hören, schaltete er es auf Vibration. Nichts war für den bürgernahen und leutseligen Mann schlimmer, als in einem Funkloch zu stecken und nicht erreichbar zu sein.
Er war auch jetzt erreichbar. Faller gab dem Angerufenen keine Chance, eine frotzelnde Bemerkung zu machen, sondern erklärte, dass man dringend seine Hilfe benötige. Leichtle beschied knapp: »Ich komm sofort«, und beendete das
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