Schattennetz
Bindeglied zwischen den beiden Gremien, wenn man so will.«
»Und diese Schlüssel sind alle da?«
»Leider nein – das heißt, eigentlich lässt sich alles genau nachvollziehen.«
»Wie ist das zu verstehen?«
»Frau Gunzenhauser war am Samstag bei Pfarrer Kustermann drüben und hat einen Ersatzschlüssel geholt.« Noch bevor Häberle weitere Erläuterungen verlangen konnte, erklärte die Dekanin, was geschehen war: »Ihren hat sie in der Freitagnacht unserem Kirchengemeinderat Konrad Faller gegeben, weil sie gemeinsam im Kirchturm Herrn Simbach gesucht haben.«
»Und der hat den Schlüssel nicht wieder zurückgegeben?« Häberle stutzte und auch Linkohr hob den Kopf wieder von seinem Notizblock.
»Das Stadtfestwochenende lag dazwischen«, argumentierte die Dekanin. »Er hat wahrscheinlich nicht mehr dran gedacht. Sie können ja mit ihm reden – er wird es sicher erklären können.«
»Und dieser Ersatzschlüssel?«
»Keine Ahnung. Hat man ihn nicht bei Frau Gunzenhauser gefunden?«
Häberle antwortete nicht, sondern griff einen anderen Aspekt auf: »Ich denke, dieser Herr Faller hat einen eigenen Schlüssel?«
»Natürlich – aber den hat er in der Freitagnacht beim ›Hock‹ natürlich nicht dabei gehabt. Frauen tragen ihre Utensilien doch eher in der Handtasche mit sich rum.«
Da hat sie recht, dachte Häberle und sah im Geiste die Handtasche seiner Frau Susanne vor sich. Niemals würde er ergründen können, weshalb das weibliche Geschlecht stets den halben Hausrat mit sich herumschleppte. Ihm selbst genügten Geldbeutel, Handy und Schlüsselbund.
»Dieser Herr Faller«, gab sich Häberle interessiert, »der war einer von jenen, die den toten Simbach gefunden haben. Und wer waren die anderen?«
»Unser Kirchenmusikdirektor Stumper und Frau Gunzenhauser – soweit ich weiß. Der Herr Doktor Lutz hat den Tod festgestellt und dann haben sie sehr schnell den Leichenbestatter geholt, den Herrn Leichtle.«
Endlich konnte Linkohr seine Frage anbringen, die ihn schon die ganze Zeit über auf den Nägeln brannte: »Und, dass kein natürlicher Tod vorliegen könnte, daran hat niemand gedacht?«
»Na hören Sie mal. Hätten Sie daran gezweifelt, wenn Ihnen das ein Arzt sagt?«
Die beiden Kriminalisten gingen nicht darauf ein. Linkohr kam aber wieder die Aussage des Leitenden Oberstaatsanwalts in den Sinn, der einmal die Befürchtung gehegt hatte, dass vermutlich nicht alle Tötungsdelikte erkannt würden.
Häberle wollte sich gerade für das Gespräch bedanken, doch die Dekanin kam ihm zuvor: »Was den Herrn Faller anbelangt … Ich glaube, Sie sollten einmal mit ihm sprechen.«
»So?«, staunte der Chefermittler.
Die Theologin sagte nichts, sondern lächelte nur fein und erhob sich, um die beiden Kriminalisten zu verabschieden.
16
Allein die kurze, wie immer in dürren Worten gehaltene Pressemitteilung der Polizeidirektion Göppingen, wonach es in der Kleinstadt Geislingen ein Verbrechen mit drei Toten gegeben habe, hatte die Medien der halben Republik aufgeschreckt. Insbesondere war es der Tatort, der die Boulevardblätter und privaten Fernsehstationen anlockte: Bluttaten in einer Kirche. So etwas sorgte für großes Aufsehen. Am Nachmittag hatten sich bereits mehrere Journalisten beim örtlichen Polizeireporter über die bisherigen Erkenntnisse informiert – wie dies immer geschah, wenn sich in der Provinz ein Ereignis von überörtlicher Bedeutung zutrug. Georg Sander, seit Jahr und Tag mit den örtlichen Gegebenheiten und den Charakteren der wichtigsten Persönlichkeiten bestens vertraut, half gerne weiter. Mit Interesse verfolgte er dann jedes Mal, wie geschickt es insbesondere die Boulevardpresse verstand, den Tatsachen den besonderen Kick zu verleihen. Am meisten ärgerte es ihn dann, wenn solche aufreißerischen Artikel dazu führten, dass ihm seine Leserschaft mangelnde Recherche vorwarf. »Aber die habens doch geschrieben«, bekam er dann oft genug zu hören. Zwar versuchte er, diese Vorwürfe mit dem Hinweis zu entkräften, dass manches in den bunten Blättern reine Spekulation sei. Doch hatte er jedes Mal den Eindruck, dass in einigen Bevölkerungskreisen weniger die fundierte und sachliche Berichterstattung der Heimatzeitung gefragt war als vielmehr die aufgeblasenen Darstellungen in den Boulevardblättern. Und wenn dann auch noch eine Fernsehstation – und mochte sie sich noch so provinziell und stümperhaft präsentieren – die Angelegenheit aufgriff, galt dies vollends als das
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