Schattennetz
hierher gekommen – aus Bischofswerda, unserer Partnerstadt in Sachsen. Es scheint aber wohl so zu sein, dass sie sich eher zufällig hier getroffen haben. Simbachs Frau ist eine Geislingerin.«
Linkohr schrieb wieder eifrig mit. Er würde anschließend ein Protokoll anfertigen, um die Erkenntnisse allen Mitgliedern der Sonderkommission zugänglich zu machen.
»Was wissen Sie sonst über die beiden?«, bohrte Häberle weiter.
»Ich weiß nicht, was Sie wissen. Es wird ja viel geredet. Tatsache ist, dass uns die beiden erheblichen Kummer bereitet haben.«
»Ach?«, staunte der Chefermittler. »Wie ist das zu verstehen?«
»Uns, dem Kirchengemeinderat«, erklärte die Frau und wurde ernster. »Es hat vor einigen Monaten einen Vorfall gegeben, den wir bis jetzt nicht bereinigen konnten. Was genau war, weiß ich nicht, aber es soll eine Prügelei gegeben haben.«
Die Kriminalisten zeigten sich überrascht. »Prügelei?«, wiederholte Häberle ungläubig.
»Ja, nach einer Veranstaltung im Martin-Luther-Haus. Im Foyer – vor vielen Leuten. Eine höchst peinliche Sache. Wir haben uns im Kirchengemeinderat bemüht, die Angelegenheit zu klären. Na ja. Wir wollten die Sache nicht so hoch hängen, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Nach kurzer Pause fügte sie hinzu: »Aber natürlich wollten wir Konsequenzen ziehen, gar keine Frage.«
Häberle hatte daran keinen Zweifel. Nur war es halt wie immer, ob in der Kirche oder in der Politik: Bloß kein Aufsehen erregen. Das Volk musste schließlich nicht unbedingt wissen, wie es hinter den Kulissen brodelte. Wichtig war die schöne heile Welt. Wieder musste Häberle daran denken, wie lange sich dies die Bevölkerung noch gefallen lassen würde. Aber dagegen, was in der großen Politik lief, waren die Prügeleien zwischen zwei Ossis wohl eher Peanuts. Auch wenn vielleicht mehr dahinter steckte als nur ein provinzieller Zoff.
»Die beiden haben sich also hier getroffen und beide haben sich in der Kirche engagiert. Wie kams denn dazu?«
Die Theologin brauchte auch für diese Antwort nicht lange nachzudenken: »Sie waren wohl bei den Montagsgebeten aktiv. Sie erinnern sich: 1989, als in der DDR montags immer mehr Menschen zu Friedensgebeten in die Kirche strömten.«
Häberle hatte diese Wochen und Monate noch lebhaft in Erinnerung, während Linkohr damals gerade erst 10 Jahre alt gewesen war. Er gehörte fast schon zu einer herangewachsenen Generation, die den Kalten Krieg, die Mauer und die innerdeutsche Grenze nur noch vom Hörensagen kannte. Häberle musste daran denken, wie er mit seiner Frau Susanne mit dem Wohnmobil einige Male über die Transitautobahn nach Westberlin gefahren war – mit all den schikanösen Grenzkontrollen. Unterwegs hatten sie im Auto kein kritisches Wort über die DDR gesprochen – man konnte ja nie wissen, mit welchen Abhörmethoden die Volkspolizisten und Stasispitzel arbeiteten, die gewiss hinter jeder Hecke lauerten, um den Klassenfeind zu kontrollieren. Häberle sah vor dem geistigen Auge den Kontrollpunkt Dreilinden in Westberlin, wo man schon von Weitem, als die Autobahn aus einer leichten Senke herauskam, die Flaggen der Westmächte flattern sah. ›Hurra, wir leben noch‹, hatte er damals stets gesagt und gespürt, wie das beklemmende Gefühl von ihm abfiel.
»Und dieser Czarnitz?«, brachte Häberle sich wieder selbst in die Realität zurück, um seine Gedanken nicht noch weiter abschweifen zu lassen. »Hatte der auch etwas mit den beiden zu tun?«
Die Dekanin zuckte die Schultern. »Da fragen Sie mich zuviel. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er mit alten Gewerbe-Immobilien gehandelt hat, vermutlich in den neuen Bundesländern. Ob er selbst auch von dort kommt, ist mir nicht geläufig.«
»Mit der Kirche hatte Czarnitz nichts zu tun?«
»Nein. Ich weiß auch nicht, welcher Konfession er angehört.«
»Und wie ist das nun mit den Schlüsseln für die Kirche?«
»Ihre Kollegen haben mich auch schon angerufen«, erwiderte die Dekanin jetzt leicht gereizt. »Es sind nicht sehr viele Personen im Besitz eines Schlüssels. Neben mir und dem Stadtpfarrer hat unser Kirchenmusikdirektor, der Herr Stumper, einen. Außerdem einige Mitglieder des Kirchengemeinderats – und natürlich Frau Gunzenhauser.«
»Und Simbach und Korfus?«, wollte Häberle wissen.
»Simbach nein, Korfus ja – er ist im Gegensatz zu Simbach nicht nur im Arbeitskreis tätig, sondern auch offizielles Mitglied des Kirchengemeinderats. Sozusagen eine Art
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