Schattennetz
auf sie wartete und sie durch Räumlichkeiten führte, in denen gewohnt, verwaltet und seelsorgerische Arbeit geleistet wurde. Die Dekanin nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz, während sich die Kriminalisten auf einer Couch niederließen, die abseits eines Besprechungstisches stand. Häberle hatte bereits bei der Begrüßung um Nachsicht für das plötzliche Erscheinen gebeten und kurz die jüngsten Erkenntnisse erwähnt.
»Sie werden verstehen, dass wir deshalb ganz genau wissen müssen, wer wann Zutritt zur Kirche, beziehungsweise zum Turm hatte – vor allem aber, wie es mit den Schlüsseln aussieht«, knüpfte Häberle an das bereits Gesagte an.
Die Dekanin beugte sich nach vorne zur Schreibtischplatte und stützte sich mit den Unterarmen ab. »Sie können von mir alle Information erhalten«, erklärte sie. »Gerüchte gibt es bereits genügend.«
Linkohr zog einen Notizblock aus den vielen Taschen seiner Outdoorhose und schrieb mit.
»Dann beginnen wir doch ganz von vorne«, schlug der Chefermittler vor. »In der Nacht zum Samstag hat man im Turm Herrn Simbach aufgefunden, was zunächst wohl wie ein normaler Todesfall ausgesehen hat. Herzversagen.« Die Dekanin nickte.
»Nachdem jetzt klar ist, dass sowohl er als auch Herr Czarnitz dort oben einem Stromschlag zum Opfer gefallen sind, stellt sich für uns die Frage, wer Interesse daran haben könnte, sie auf diese Weise umzubringen. Vor allem aber, wer sich so sicher sein konnte, dass diese beiden Männer ausgerechnet dann, wenn die große Glocke läutete, in der Glockenstube sein würden.«
Wieder nickte die Dekanin. »Die große Glocke«, erklärte sie ruhig, »sie wird täglich beim Kreuzläuten und beim Abendläuten eingeschaltet.«
»Kreuzläuten?«, gab sich Linkohr erstaunt.
»Ja, um 15 Uhr. Wir haben dies erst vor Kurzem eingeführt – auf Vorschlag des Glockenexperten unserer Landeskirche. Er hat gemeint, unsere Kirche hätte ein so schönes Geläut, das man öfters nutzen sollte.«
Linkohr notierte sich diese Aussage.
»Und seither haben wir auch das Abendläuten jahreszeitlich angepasst«, erklärte die Dekanin weiter. »Im Winter um 18 Uhr, im Sommer, also jetzt, um 20 Uhr und in den Übergangszeiten um 19 Uhr.«
»Und beim Gottesdienstläuten? Wird da die große Glocke auch dazugeschaltet?«, wollte Häberle wissen.
»Nein«, entgegnete die Theologin. »Wir haben das noch nicht umgestellt. Sie wurde nur an hohen Feiertagen genutzt, also an Weihnachten und Ostern.«
Häberle überlegte kurz und stellte fest, dass mit diesen Angaben zumindest die möglichen Todeszeitpunkte einigermaßen eingegrenzt werden konnten: Simbach war vermutlich am Donnerstagnachmittag oder am Abend gestorben – Czarnitz mit Sicherheit am Kinderfestabend um 20 Uhr, kurz nach dieser ›Stäffelespredigt‹.
»Von Herrn Simbach«, so fuhr der Chefermittler fort und ließ seinen Blick über die beeindruckenden Bücherregale wandern, »von ihm wissen wir inzwischen, dass er sich sehr um die Kirche bemüht hat.«
»Sehr, ja. Sie haben vielleicht gelesen, dass wir zum Erhalt unserer Kirche einen Arbeitskreis gegründet haben. Die Gelder fließen auch bei der Evangelischen Landeskirche nicht mehr so, wie es wünschenswert wäre. Deshalb sind wir zunehmend auf Ehrenamtliche angewiesen. Und Herr Simbach hat uns nicht nur großzügige Spenden zukommen lassen, sondern sich auch handwerklich um die kleinen Reparaturen gekümmert. Sie können sich vorstellen, dass immer etwas anfällt.«
Häberle nickte verständnisvoll und verschränkte die Arme vor seiner Jeansjacke. »Und er war auch für die Glocken verantwortlich?«
»Nein, eben nicht. Herr Simbach hat sich nur um die Gebäudesubstanz gekümmert.«
»Wozu aber auch das Dach gehört – und der Turm«, schaltete sich Linkohr ein.
»Natürlich. Insbesondere natürlich das Dach. Teile dieser Konstruktion sind inzwischen über 800 Jahre alt.«
Häberle wollte das Thema vertiefen: »Und die Glocken? Wer ist dafür verantwortlich?«
»Korfus, Torsten Korfus. Ist auch Mitglied des Arbeitskreises – Inhaber einer Kfz-Werkstatt. Vielleicht ist er Ihnen ein Begriff.«
Der Chefermittler schüttelte den Kopf. »Und der prüft die Glocken regelmäßig? Zu bestimmten Zeiten?«
Linkohr sah von seinem Notizblock auf.
»Meist montags – entweder beim Kreuzläuten oder beim Abendläuten.«
»Und in welchem Bezug stehen Simbach und Korfus zueinander?«
»So genau weiß ich das auch nicht. Sie sind wohl beide nach der Wende
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