Schattennetz
etwas zu sagen, ließ sie langsam den Telefonhörer sinken, aus dem eine Männerstimme krächzte, und legte ihn auf.
18
Sie waren am Abend wieder in Bischofswerda eingetroffen. Auf der ostwärts führenden, gut ausgebauten Autobahn hatte Anton Simbach seinen nagelneuen Mercedes der E-Klasse voll ausfahren können – meist auf der linken Spur, vorbei an der endlosen Kolonne des Schwerlastverkehrs, der von Jahr zu Jahr zunahm.
Antons Frau Anke saß die meiste Zeit schweigend neben ihm, während Nadine und Jonathan im Fond des Wagens Musik mit einem MP3-Player hörten.
Die Simbachs hatten vor einigen Jahren im Neubaugebiet ›Am Klengelweg‹ am nördlichen Stadtrand von Bischofswerda ein schmuckes Einfamilienhaus gebaut. Anton verdiente als Chef eines Security-Dienstes nicht schlecht, und außerdem war ein gutes finanzielles Polster vorhanden, das noch aus den Zeiten herrührte, als die alte DDR-Mark zu einem respektablen Kurs in bundesdeutsche D-Mark umgewandelt worden war. Selbst Anton, der sich bis zum heutigen Tage nicht mit der Wiedervereinigung anfreunden konnte und dies bisweilen sogar als ›feindliche Übernahme durch den einstigen Klassenfeind‹ bezeichnete, musste gelegentlich einräumen, dass dieser Geldtausch ein guter Deal war. Immerhin konnte man an den sozialen Errungenschaften der Wessis Anteil haben, ohne dazu auch nur eine einzige müde Mark beigetragen zu haben. Dass dies natürlich nicht gut gehen konnte, und der westliche Wohlstand dadurch in die Knie gehen würde, hätte jeder erkennen müssen. Doch die Euphorie und Aufbruchstimmung, die sich mit dem Fall der Mauer breit gemacht hatte – nicht nur durch die kühne Behauptung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, es werde im Osten bald blühende Landschaften geben –, hatte sämtliche Bedenken und jeglichen Pessimismus weggewischt.
Anton hatte den Mercedes-Kombi in die Garage gefahren und das Ausladen diverser Reiseutensilien seiner Frau und den Kindern überlassen. Er ging wortlos durch den Flur in die Diele und besah sich im Spiegel. Sein Gesicht war nach der langen Fahrt fahl und faltig. Er fühlte sich abgespannt und müde, schließlich waren sie im Morgengrauen losgefahren und nun am frühen Abend wieder zurückgekehrt. Dennoch wollte er jetzt dringend etwas erledigen, das ihn seit heute Vormittag beschäftigte. Wenn sein Bruder Alexander tatsächlich umgebracht wurde – und daran bestand inzwischen kein Zweifel mehr –, dann konnte dies unabsehbare Folgen haben. Anton Simbach verschwand in seinem Büro, ließ sich ermattet in den ledernen Chefsessel fallen und drückte am Telefon eine Nummer.
»Ja, ich bins«, sagte er, ohne sich zu melden. »Wir sollten uns treffen. Dringend.« Er lauschte auf die Stimme im Hörer, sah auf seine Armbanduhr und entschied: »Okay. Um halb 10 – ja … gegenüber der Frauenkirche. Wie immer.«
Er legte auf. Ihm blieb noch Zeit für eine erfrischende Dusche. Länger als eine halbe Stunde brauchte er bis Dresden nicht. Als er aus seinem Büro kam, sah ihn Anke vorwurfsvoll an, wagte aber nichts zu sagen.
»Ich bin zum Abendessen nicht da«, knurrte er und wandte sich dem Schlafzimmer zu, um die Kleidung zu wechseln. »Muss mit Carsten was besprechen.«
»Heute noch? Bist du nicht müde?«
Anton antwortete nicht.
19
Häberle und Linkohr hatten auf abgewetzten Schreibtischstühlen Platz genommen. Sie blickten in das blasse Gesicht einer Frau, das deutlich von Sorgen und Stress gezeichnet war. »Wir können Ihnen ein paar Fragen nicht ersparen«, begann Häberle mit sonorer Stimme. Linkohr staunte, wie es dem erfahrenen Kriminalisten immer wieder gelang, eine verkrampfte Atmosphäre zu entspannen.
»Sie tun nur Ihre Pflicht.«
»Und diese Pflicht ist manchmal sehr unangenehm«, gab Häberle einfühlsam zurück. »Ihren Mann«, kam er dann zur Sache, »haben Sie am Donnerstag zuletzt gesehen, wie Sie meinen Kollegen berichtet haben?«
»Ja, er hat nicht gesagt, wohin er wollte. Aber das hat nichts zu bedeuten.« Es fiel ihr schwer, darüber zu reden. »Er ist gekommen und gegangen, wann er wollte. Und wenn ich das so sage, dann dürfen Sie daraus den Schluss ziehen, dass es mit unserer Ehe nicht zum Besten stand.« Jetzt war es raus. Es hatte keinen Sinn mehr, die heile Welt vorzuspielen. Wahrscheinlich, so dachte Sabrina, waren die Gerüchte ohnehin schon bis zu den Kriminalisten vorgedrungen. Gerüchte darüber, dass sie nur noch des Geschäfts und der Tochter wegen zusammen
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