Schattennetz
Er überlegte. »Oft aber sind es Trennungen und Beziehungskrisen, die tödlich enden.«
Sabrina schwieg.
20
Anton war in der aufkommenden Abenddämmerung über die Autobahn nach Dresden gefahren. Knapp 45 Minuten hatte er bis zur Stadtmitte gebraucht, wo er seinen Mercedes in der Münzgasse ins Halteverbot stellte. Von hier aus waren es nur ein paar Schritte zum ›Café zur Frauenkirche‹. Obwohl das Wetter für einen Juli-abend rau und ruppig war, kamen ihm ständig Besuchergruppen entgegen. Die wieder aufgebaute Frauenkirche hatte sich zu einem starken Anziehungspunkt entwickelt, was Anton Simbach zwangsläufig daran erinnerte, wie still und verlassen der Platz mit den zerbombten und teilweise bereits eingewachsenen Mauerresten einst gewesen war. Für ihn hatten die Trümmer der Kirche den Irrsinn symbolisiert, mit dem britische Bomber in der Nacht zum 14. Februar 1945 die Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten. Dass sich sein Staat, für den er gekämpft und gelebt hatte, so plötzlich dem einstigen Klassenfeind an den Hals geworfen hatte, das würde er nie überwinden. Dresden war nicht mehr sein Dresden, seit es von den kapitalistischen Geschäftemachern beherrscht wurde, seit Shoppingcenter und Filialisten das Straßenbild prägten. Natürlich erstrahlte das Theaterviertel in neuem Glanz – das Schloss und die wieder aufgebaute Frauenkirche –, aber letztlich waren dies in seiner Vorstellungswelt nichts weiter als prunkvolle Symbole, mit denen der Westen protzen und seine Macht manifestieren wollte. Seine Gedanken schweiften ab zu jenen Spionen und staatsfeindlichen Elementen, die meist als Touristen eingereist waren, um die DDR auszuspähen. Oder an die Bürger der eigenen Republik, die sich durch das Westfernsehen aufstacheln ließen. Zum Glück waren im Bereich Dresden die Sender aus der BRD nur schwer zu empfangen gewesen.
Als Anton Simbach aus der Münzgasse herauskam, fiel sein Blick auf die neue Frauenkirche, vor der auch jetzt noch viele Touristen standen. Hier, am Eck, hatte er sein Ziel erreicht und verschwand rasch im Eingang des Cafés zur Frauenkirche. Sein alter Freund Carsten Kissling und er benutzten dieses Restaurant schon seit einigen Jahren, um in gepflegtem Ambiente und bei gutem Essen Probleme zu besprechen. Hier, umgeben von Besuchern aus aller Welt, fielen sie nicht auf. Sie konnten genauso gut Durchreisende sein, die hier ein Touristenmenü aßen. In den Frühjahrswochen, das wussten die beiden Männer aus Erfahrung, gab es vorzügliche Spargelgerichte. Doch jetzt, Ende Juli, entschieden sie sich für die Grillplatte. Anton hatte großen Hunger.
In einem der hinteren Bereiche war ein kleiner Tisch frei gewesen, sodass sie sich in Ruhe unterhalten konnten. Carsten Kissling, rund 10 Jahre älter als Anton, aber sportlich durchtrainiert, wie es schien, strahlte übers ganze Gesicht, als sie sich mit Rotwein zuprosteten. »Ich freu mich zwar, dich zu sehen, aber was du da heut früh am Telefon erzählt hast, bereitet mir großen Kummer.« Der Mann, der ein weißes Jackett ohne Krawatte trug, wurde ernst. »Danke, dass du gleich angerufen hast. Wir haben sofort umgedreht, irgendwo bei Crailsheim.«
»Die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet«, berichtete Anton Simbach mit gedämpfter Stimme. »Sie gehen davon aus, dass Alexander umgebracht wurde. Ich hab von unterwegs meine Schwägerin noch mal angerufen – ein kratzbürstiges Weibsbild übrigens. Sie will zwar nichts mehr mit mir zu tun haben – ich im Übrigen auch nicht mit ihr –, doch sie hat dann doch gesagt, dass Alexander durch einen Stromschlag ums Leben gekommen ist.«
»Stromschlag, im Kirchturm?«, staunte Kissling.
»Stromschlag, ja. Der Arzt hat das wohl in der Freitagnacht nicht erkannt.«
»Und wie ist das geschehen?« Kissling gab sich jetzt keine Mühe mehr, seinen sächsischen Dialekt zu unterdrücken. Sie waren schließlich unter sich.
»Weiß sie noch nicht. Jedenfalls sieht das nach einem ganz raffinierten Anschlag aus. Und das Schlimmste ist, dass es auch Rolf erwischt hat.«
Kisslings braun gebranntes Gesicht verhärtete sich. »Rolf? Czarnitz? Ist er auch …?«
Simbach nickte betroffen.
»Das kann doch nicht wahr sein. Auch mit Strom?«
»Weiß ich nicht. Aber es ist auch im Turm passiert.« Und um es endlich loszuwerden, fügte er sogleich hinzu: »Es hat sogar noch ein drittes Opfer gegeben. Die Mesnerin. Ihre Leiche hat man im Dachstuhl des Kirchenschiffs gefunden.«
»Das darf nicht wahr
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