Schattennetz
Wiedervereinigung geschwommen. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen. Wir fühlten uns als ein Paar, das sich über die einstige Zonengrenze hinweg gefunden hat. Es war traumhaft.«
»Es war traumhaft?«, stellte Häberle sachlich fest und wollte es wie eine Frage klingen lassen.
»Ja, es war«, antwortete Sabrina. »Nicht lange. Silke, unsere Tochter, kam zur Welt – und dann haben wir das Geschäft aufgebaut. Das hat Zeit und Nerven gekostet. Doch Alexander hat die neu gewonnene Freiheit genossen. Plötzlich konnte er hin, wo er wollte. Grenzenlose Freiheit – hat er immer gesagt.«
»Entschuldigen Sie die indiskrete Frage«, meinte Häberle mit sanfter Stimme. »Hatte Ihr Mann denn Grund zur Eifersucht?«
Sabrinas Gesichtszüge froren ein. Sie zögerte. Wieso fragt er das?, zuckte es durch ihren Kopf. Hatte ihm irgendjemand etwas erzählt?
»Ich verstehe nicht, warum Sie das interessiert?« Ihre Stimme verriet Unsicherheit, sodass Linkohr instinktiv von seinem Notizblock aufsah, was sie zusätzlich irritierte.
»Nun …«, gab sich Häberle weiterhin einfühlsam. »Wir versuchen, uns von allen Beteiligten ein Bild zu verschaffen. Ich hätt auch anders fragen können …«
»Ob ich einen Freund hab«, konterte die Frau energisch. »Das wollen Sie doch wissen. Ob ich fremdgegangen bin. Ob ich getan hab, was für ihn selbstverständlich war.« Sabrinas Stimmung wechselte schlagartig von Irritation in Zorn. »Nein. Ich nicht. Da mögen andere etwas anderes sagen. Glauben Sie meinetwegen, was Sie wollen. Aber wenn ich jetzt in den Schmutz gezogen werde, nur weil sich Alexander aufgeführt hat wie ein Idiot, dann find ich dies unglaublich.«
Die beiden Kriminalisten erwiderten nichts. Häberle nickte bedächtig. Nach zwei, drei Sekunden des Abwartens unternahm er einen erneuten Vorstoß: »Da ist noch die Sache mit dem Handy. Es ist verschwunden …«
Sabrina zupfte sich den Kragen ihrer Jacke zurecht und setzte sich aufrechter. »Ja, so sieht es aus«, bestätigte sie kühl. »Ihre Kollegen haben mich schon danach gefragt. Er hats immer dabei gehabt. Wenn es nicht bei ihm gefunden wurde, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.«
Linkohr mischte sich ein: »Dass ers versehentlich daheim vergessen hat, schließen Sie aus?«
»Ich habs nicht gefunden. Außerdem hatte er es immer dabei. Immer und überall. Es war auch so was wie sein Terminkalender oder Notizbuch.«
»Ach?«, staunte Häberle. »Er hat all seine Termine ins Handy eingegeben?«
»Ja. Die Dinger bieten doch heutzutage alles. Kalender, Notizblock – um ehrlich zu sein, ich kenn mich da nicht so aus. Mir ist nur aufgefallen, dass es ab und zu gepiepst hat und er damit wohl an einen Termin erinnert wurde.«
Häberle nickte. Oft genug schon hatte er dienstlich mit den technischen Möglichkeiten eines Handys zu tun gehabt. Sie wurden immer komfortabler, immer raffinierter – aber auch immer komplizierter. Dabei, so hatte er schon oft gedacht, brauchten Menschen seiner Generation das Gerät doch nur zum Telefonieren. Allenfalls mal für eine SMS. Die heutigen Jugendlichen jedoch konnten sich erstaunlich schnell in die Technologie eindenken und kapierten auf Anhieb die Menüführung, die ihm meist unlogisch erschien, weshalb er bei der kleinsten Funktionsänderung die umständlich formulierte Gebrauchsanweisung zurate ziehen musste. Er war längst zu der Überzeugung gelangt, dass zur Bedienung elektronischer Geräte eine Logik beherrscht werden musste, wie sie offenbar in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen längst drin war. Er kämpfte gegen die innere Stimme, die ihm weismachen wollte, er sei eben alt und habe den Anschluss an die schöne neue Technikwelt verpasst. Seine Eltern mochten ihrerseits genau so gedacht haben, als er sich mit 12 Jahren mit einem Tonbandgerät auseinander gesetzt und zur Heiterkeit der ganzen Verwandtschaft die sonntagmittäglichen Debatten im Familienkreis aufgenommen hatte. Damals war es noch eine Sensation gewesen, die eigene Stimme zu hören. Heute konnte man damit keinen mehr locken.
»Sie meinen, das Handy könnte für jemanden von Interesse gewesen sein«, konstatierte Häberle schließlich.
Sabrina blieb kühl und abweisend. »Aber deswegen bringt man doch nicht gleich jemanden um.«
»Oh, Frau Simbach«, seufzte Häberle. »Was glauben Sie, wozu Menschen in der Lage sind! Was Außenstehenden als Banalität erscheinen mag, kann aus der Sicht des Täters eine Katastrophe sein. Oft sind es kleine Dinge.«
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