Schattennetz
Schiss hat. Ich werd dafür sorgen, dass er in den nächsten Tagen immer mal wieder zu spüren kriegt, dass wir ihn observieren. Das dürfte ihn davon abhalten, auf dumme Gedanken zu kommen.«
»Du musst nur aufpassen, wenn die Bullen hier bei uns loslegen«, gab der Mann zu bedenken.
»Keine Sorge«, erwiderte Simbach überlegen. »Das erfahr ich früher, als du denkst.« Er lächelte und besah sein Gesicht im Innenspiegel. Dann beendete er das Gespräch und trat kräftig aufs Gaspedal. Nach Berlin waren es immerhin über 350 Kilometer. Aber der Tag war ja noch jung.
Sabrina Simbach fühlte sich wie gerädert. Sie hatte in der vergangenen Nacht so gut wie kein Auge zugetan, noch stundenlang mit Silke gesprochen und sich von ihr vorschwärmen lassen, was für ein traumhafter Typ doch ihr neuer Freund sei. Sabrina hatte nur mit einem halben Ohr zugehört und sich insgeheim gewünscht, auch sie könnte eines Tages wieder die schönen Seiten des Lebens genießen. Lange genug hatte sie im Schatten gestanden, im Schatten eines autoritären Mannes. Seit einigen Tagen hatte sich alles geändert, doch mehr und mehr spürte sie Zweifel, ob der Weg, den sie nun gehen wollte, der richtige sein würde. Vergangene Nacht hatte sich in ihr der Wunsch breit gemacht, ganz neu zu beginnen. Und ganz neu hieß: Alle Brücken abbrechen, wohin auch immer. Raus aus einem Netzwerk, das eigentlich Alexander gesponnen hatte und nicht sie. Sie musste zu ihrem eigenen Leben finden, ihre eigenen Vorstellungen realisieren. Da gab es keinen Platz mehr für das, was Alexander hinterlassen hatte. Und schon gar nicht für die Freunde und Bekannten, die aus seinem Umfeld stammten.
Sabrina trug ihre langen blonden Haare hochgesteckt und hatte eine Jeanshose und einen engen Pullover angezogen, als sie das Haus verließ, um mit dem VW-Bus zum Geschäft zu fahren. Dort waren ihre Angestellten bereits damit beschäftigt, angelieferte Getränkekisten zu sortieren und zu stapeln. Sergije wischte sich die Hände an der blauen Arbeitshose ab und kam auf sie zu. »Gehts Ihnen gut?«, fragte er höflich.
»Danke, wies halt so geht«, erwiderte sie kühl, obwohl sie es gar nicht so klingen lassen wollte.
Der junge Mann berichtete ihr, welche Lieferanten heute bereits da gewesen waren.
»Danke dir«, zeigte sich Sabrina zufrieden und eilte durch die schmalen Gänge, die die aufgestapelten Kisten bildeten, in ihr Büro. Sergije folgte ihr mit einigen Schritten Abstand und blieb an der offenen Tür stehen. »Entschuldigen Sie«, machte er sich dort bemerkbar, während Sabrina ihre Handtasche auf einen abgegriffenen Polsterstuhl warf und einige Lieferscheine überflog, die ungeordnet auf die ohnehin mit Papier übersäte Schreibtischplatte gelegt worden waren.
Die Frau drehte sich verwundert um. »Ja?«, fragte sie irritiert.
»Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Natürlich«, antwortete sie verwundert. »Hast du ein Problem?«
»Das nicht«, erklärte er verlegen. Sein Deutsch war akzentfrei, obwohl seine Eltern, mit denen er als Vierjähriger von Russland nach Sachsen übergesiedelt war, die Sprache ihrer Vorfahren nie richtig gelernt hatten. Sergije hatte die Hauptschule in Bischofswerda mit bestem Klassendurchschnitt absolviert, dort aber trotzdem keine Ausbildungsstelle gefunden. Sein jetziger Job in der Partnerstadt machte ihm sichtlich Spaß.
»Was dann?«, knüpfte Sabrina an seine kurze Bemerkung an. »Was hast du auf dem Herzen?«
Er kam einen Schritt näher und zog die Tür hinter sich zu. Das hatte er noch nie getan.
25
Die Mitglieder der Sonderkommission gruppierten sich im Halbkreis um den Tisch, auf den Linkohr die Ausdrucke der beiden Telefongesellschaften gelegt hatte. »Es zeigt sich halt mal wieder, welch ergiebige Quelle das Telefon ist«, erklärte er stolz. Mochten manche auch behaupten, der Mensch werde auf diese Weise gläsern – wer jedenfalls nichts Böses im Schilde führte, brauchte vor derlei Möglichkeiten keine Angst zu haben. Linkohr hatte dieses Argument im Bekannten- und Freundeskreis schon oft vorgebracht und erntete zu seinem Erstaunen und Leidwesen meist Skepsis.
»Ich habs nur mal auf die Schnelle durchgeschaut und einige Nummern überprüft«, fuhr er fort und deutete auf die Papiere, die lange Auflistungen mit Telefonnummern, Uhrzeiten und Gesprächsdauern erkennen ließen. »Das Erste, was auffällt, sind die telefonischen Kontakte, die es zwischen Frau Sabrina Simbach und dem Herrn Korfus gegeben
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