Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
nicht sicher war, in ihr wirklich eine Schwester zu haben.
» Du hast keinerlei Erinnerung an das, was geschehen ist, und warum du hierhergekommen bist, Bruder?«, fragte sie jetzt.
» Nein, da ist nur Dunkelheit, … Schwester. Ich weiß nichts über das, was geschah, bevor ich heute Morgen in einer Köhlerhütte vor der Stadt erwacht bin.« Und doch, er spürte etwas, eine Verbindung zu ihr. Etwas in ihm kannte sie. Oder war es nur der Wunsch, sie zu kennen?
Sie lächelte. » Vielleicht kann ich die eine oder andere deiner Fragen beantworten, denn wir sind nicht nur Bruder und Schwester, sondern auch Verbündete.«
Sahif, das also war sein Name. Er starrte düster auf die Dielen. Das ging alles zu schnell, oder auch zu langsam: zu schnell, um es zu begreifen, zu langsam in Bezug auf das, was er alles wissen wollte. Er wurde plötzlich zornig. » Ich bin also ein Prinz?« Das Wort klang hohl, nichts, was ihn irgendwie berührte.
Seine Schwester seufzte. » Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für dich sein muss, Sahif, alles vergessen zu haben. Am besten wird es sein, wenn ich von vorne beginne, sonst wirst du es wohl nicht verstehen können.«
Er nickte knapp. Die Wut, die aus der Finsternis aufstieg, wuchs, und er fragte sich, warum er zornig auf diese hübsche junge Frau mit dem strahlenden Lächeln war.
» Höre also, Sahif. Du bist ein Sohn des Padischahs, und damit ein Prinz, allerdings haben wir viele Geschwister, über dreißig schon, und fast jedes Jahr werden es mehr. Viele Frauen und Nebenfrauen hält sich der Padischah, denn so ist es Brauch bei den Herrschern von Oramar.«
» Dreißig?«, fragte er ungläubig.
» Du, mein Bruder, bist der Sohn einer Nebenfrau des Padischahs, Mitaqi war ihr Name. Sie starb vor vielen Jahren, und das spielt für das, was hier geschieht, eine gewisse Rolle.«
Sie lehnte sich zurück und fuhr mit der Hand über die Kerzenflamme. » Du bist weit vom Thron entfernt, Sahif, kein Sohn, der ernsthaft als Erbe in Betracht kommt, und auch deshalb wurdest du, als du sechs oder sieben Jahre alt warst, fortgegeben. Deine Mutter hat die Trennung nie verwunden. Sie starb kurze Zeit darauf. Es hieß, es sei ein tragisches Unglück gewesen, doch glaube ich nicht, dass sie bei einem Unfall zu Tode stürzte, denn sie fiel in tiefer Nacht von einem der Türme der Palastmauer, und was hätte sie da oben gesucht zu dieser Zeit, wenn nicht einen Weg in den Tod?«
» Sie hat sich das Leben genommen?«
Die Baronin zuckte mit den Achseln. » Das ist meine Vermutung. Ich könnte dir auch leicht sagen, dass es gewiss ist, weil dich das noch enger an meine Pläne binden würde, doch will ich dir die Wahrheit sagen, denn wir waren stets ehrlich zueinander.«
Sahif nickte verwirrt. Seine Mutter war schon Jahre tot? Er erinnerte sich nicht an sie. Er schloss die Augen und suchte in der Finsternis nach einem Bild, einer Stimme, einem Geruch, aber da war nichts.
» Es ist durchaus üblich, dass die Söhne des Padischahs in verschiedenen Künsten unterwiesen werden. Sie werden ausgebildet zu Magiern, Generälen, Künstlern, Baumeistern, Verwaltern, eben zu Männern, die ein so großes Reich wie Oramar braucht. Diese Ausbildung erfolgt in Elagir, unserer Hauptstadt, gelegentlich aber auch in der Fremde, bei großen und berühmten Meistern ihres Fachs. Bei dir erfuhr jedoch nicht einmal deine Mutter, zu wem du gebracht wurdest. Und auch, als du zehn Jahre später zurückgekehrt bist, blieb verborgen, wo du gewesen warst. Inzwischen wissen wir, dass du in der Obhut der Bruderschaft der Schatten warst.«
Sahif nickte düster. » Dein Vertrauter, Almisan, hat mir das gesagt, doch wieder ist dort nichts, woran ich mich erinnern könnte. Dabei weiß ich, dass es wahr sein muss, denn ich vollbringe manchmal Taten, die ich mir nicht erklären kann.« Schatten, dachte er mit einem seltsamen Schaudern. Er verband auch mit diesem Wort ein merkwürdiges Gefühl von Vertrautheit, doch wieder war da nichts Genaueres, es war mehr wie ein Traum, den man bis auf ein paar schnell verblassende Bilder schon vergessen hatte. Er fragte sich, ob dieser Traum nicht von der Art war, an die man sich gar nicht erinnern wollte.
» Almisan hat mir schon berichtet, dass du nicht alles vergessen haben kannst, denn sonst müssten deine Häscher dich längst gefangen oder getötet haben. Es besteht also noch Hoffnung«, sagte die junge Frau lächelnd, aber Sahif konnte wenig Hoffnungsvolles darin erkennen.
Seine
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