Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
Weise war das sogar befriedigender, als ihn tot zu sehen. Doch wie passte dieser Weichling nun noch in ihre Pläne? In diesem Zustand taugte er wirklich bestenfalls noch als Sündenbock, als toter Sündenbock natürlich, denn wenn er festgenommen wurde, würde er vielleicht reden. Schatten kamen bekanntlich nicht in Gefangenschaft, sie gingen eher in den Tod, aber auch das hatte er wohl leider vergessen. Vermutlich wäre es klüger, ihn einfach im Dunkeln zu lassen, aber seine Verwirrung schmeckte zu köstlich, als dass sie der Versuchung hätte widerstehen können, also fuhr Shahila fort: » Ich weiß nicht, ob dir gefällt, was ich zu sagen habe, Sahif.«
» Ich bin dein Bruder!«, presste er hervor, und Shahila hörte den unterdrückten Zorn in seiner Stimme.
Ein wenig von seinem alten Wesen war also doch erhalten geblieben. Aber nein, es brachte keinen Gewinn, ihm zu vertrauen, je weniger er wusste, desto besser. Und nicht alles, was er erfuhr, musste der Wahrheit entsprechen. Also sagte sie: » Du bist nach Atgath gekommen, um gewisse Dinge zu erledigen. Allerdings hat niemand etwas davon gesagt, dass du diesen Verwalter töten solltest.«
» Der Tote aus dem Bach? Das war ich?«, fragte er und erbleichte.
» Ja«, behauptete Shahila, ohne mit der Wimper zu zucken. » Und eben deshalb ist die halbe Stadt hinter dir her, beziehungsweise die ganze, wenn man Almisan glauben will.«
» Ich habe ihn ermordet«, wiederholte Sahif flüsternd.
Sie sah ihm an, wie tief seine Bestürzung war, dabei war er doch vor Kurzem noch ein Schatten gewesen. Entschlossen hatte sie sein Vorgehen genannt, wild und brutal hätte es besser getroffen.
» Aber warum?«, fragte er leise.
» Eigentlich solltest du nur etwas für uns besorgen, und der Verwalter sollte dir gewisse Türen öffnen. Offenbar hat er irgendetwas gesagt, was deinen leicht entflammbaren Zorn geweckt hat. Hätte ich gewusst, dass du derart unbeherrscht bist, hätte ich an deiner Stelle Almisan geschickt.«
» Und was war es, das ich besorgen sollte?«, fragte ihr Bruder düster.
» Ich weiß nicht, ob ich dich einweihen soll, denn ich weiß nicht, ob ich dir noch vertrauen kann, Sahif.«
Er blickte auf, und sie sah den brennenden Zorn in seinen Augen. Für einen Moment erschien er ihr wieder fast wie früher: ein Sohn des Großen Skorpions, gefährlich und schnell mit der Waffe zur Hand, aber dann fiel er förmlich in sich zusammen.
» Bitte«, sagte er.
Shahila traute ihren Ohren kaum. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er dieses Wort zum letzten Mal verwendet hatte. Er litt, und das gefiel ihr. Da ihr aber daran gelegen war, ihn von ihrem Wohlwollen zu überzeugen, sagte sie: » Es muss vorerst genügen, wenn ich dir sage, dass diese Stadt, so unbedeutend sie dir auch scheinen mag, mächtige Geheimnisse birgt. Und du solltest gewissermaßen den Schlüssel dazu besorgen.«
» Also bin ich auch noch ein Dieb?« Sein Blick war jetzt verzweifelt.
Sie konnte nicht fassen, wie leicht der neue Sahif zu verwirren war. Es war fast keine Herausforderung mehr. Als Verbündeter war er wertlos, und um als Sündenbock zu dienen, wusste er eigentlich schon genug. Es gab so vieles, was er nicht einmal ahnte – und manches hatte er nicht etwa vergessen. Selbst der alte Sahif wusste nichts von den Plänen hinter den Plänen, von der Rache, der er als Werkzeug diente und die ihn doch auch selbst treffen würde. Er hatte sich längst in dem Netz verstrickt, das sie so geduldig gewoben hatte, und hatte es nicht einmal gemerkt. Und nun bekam sie vermutlich sogar die Gelegenheit, ihm beim Sterben zuzusehen. Diese Rache schmeckte wirklich süßer, als sie es sich hätte vorstellen können. Am köstlichsten war seine völlige Abhängigkeit von ihr – ihm blieb fast nichts anderes übrig, als ihr blind zu vertrauen, etwas, was der alte Sahif nun doch nicht getan hätte.
» Weiß unser Vater, was du hier tust?«, fragte er plötzlich.
Sie lächelte. » Natürlich nicht. Wir widersetzen uns im Augenblick beide seinen Befehlen und Wünschen. Er würde unsere Köpfe fordern, wenn er davon wüsste.«
Er schüttelte den Kopf. » Ich verstehe das nicht, Schwester. Dass ich sein Leibwächter bin oder war, heißt doch, dass er mir sein Leben anvertraut hat. Warum stelle ich mich nun gegen ihn, meinen eigenen Vater, mein eigenes Blut?«
Shahila schüttelte den Kopf und sagte: » Hältst du denn unseren Vater etwa für einen weisen Herrscher, einen Menschenfreund, einen guten
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