Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
landete auf allen vieren. Genau unter ihm floss das Bier über die Dielen. Was für eine Verschwendung, dachte Grams. Dann fühlte er den ersten Tritt in die Seite, kurz darauf den zweiten.
Er ging inmitten der Scherben zu Boden, wälzte sich in der Lache, und der zerbrochene Krug drückte ihm ins Fleisch. Er rang nach Luft. Wieder trat ihn jemand, und das ganze Wirtshaus lachte über ihn. Plötzlich, gerade als ihm schwarz vor Augen zu werden drohte, erschien Elas Gesicht vor seinen Augen, Ela, die in der Burg gefangen war, und dann die Gesichter von Stig und Asgo. Was sie wohl gesagt hätten, wenn sie ihn so sähen? Er schüttelte den Kopf. Nochmals wurde er getreten. Er hielt den Fuß fest, aber dann schlug ihn jemand mit einer Latte. Er ließ stöhnend los, wälzte sich zur Seite und kam auf die Knie. Alle lachten sie über ihn. Aber sie hatten ja auch Recht, er war eine Schande, ein Versager. Er spürte die nächsten Schläge und Tritte kaum, hielt sich am Tisch fest, kam schwankend auf die Beine und spuckte Blut. Er hatte seine Kinder im Stich gelassen. Er war ein Säufer, eine Schande für seine Familie. Irgendwo aus dem Nebel, der ihn umgab, brüllte eine Stimme, man solle ihn doch nackt aus der Stadt jagen, und da johlte und jubelte die Menge.
Grams spürte Tränen in den Augen. Dieses Geräusch, der Jubel, hatte er das nicht schon einmal gehört, damals vor langer Zeit? Fremde zerrten im Hier und Jetzt an seinem Umhang, und sie lachten, als er zerriss. Man hatte ihn auf Schultern durch den Ring getragen, damals, nach seinem Sieg gegen diesen riesigen Holzfäller, man hatte ihm einen Siegerkranz auf die Locken gedrückt, und seine Frau Ama, die Tochter im Arm, hatte ihm zugewinkt. Wie besorgt sie immer vor den Kämpfen gewesen war und wie glücklich danach, und, ja, auch stolz auf ihren starken Mann, den geschickten Ringer. Seine Frau, wie ihr Gesicht strahlen konnte. Damals, da hatten sie ihn gefeiert, die vielen Zuschauer, und jetzt, jetzt bejubelten sie seine Niederlage, johlten, weil er sich in einer Bierlache wälzte und verprügelt wurde. Was Ama wohl sagen würde? Er hob den Arm, um sich vor einem Schlag zu schützen, und er hörte, wie eine Latte zerbrach – oder war es ein Knochen? Er spürte nichts, schüttelte sich und blinzelte unter seinen dunklen Locken in die Runde. Man lachte ihn aus, böses, gehässiges Gelächter über einen alten Säufer. Er straffte sich und hörte ein Knurren, das, wie er überrascht feststellte, von ihm selbst stammte. Wie sie über ihn lachten! Aber er war nicht nur ein alter Säufer, er war auch einst der beste Ringer von Atgath gewesen. Da zerrte jemand an seinem Wams, ein Jüngelchen, ein Dreikäsehoch. Hatte dieser Bursche es gewagt, ihn zu treten und zu schlagen? Die Menge feuerte den Knaben an: » Los, Gurid, du hast ihn! Los, Gurid, gib ihm den Rest!«
Grams schnaufte, packte den Arm, der vor seinem Gesicht herumfuchtelte, und verbog ihn, bis er zu seinem Erstaunen brach. Gurid schrie auf und ließ ihn los. Der Köhler schnappte ihn am Kragen und hob ihn hoch. Es ging so leicht, dass es ihn selbst überraschte. Und dann flog Gurid in einem weiten Bogen quer durch den Raum, viel weiter, als Grams es für möglich gehalten hätte. Da lachten sie noch. Von hinten sauste etwas heran, Grams duckte sich instinktiv, und der Schemel zerbrach an seinem Rücken. Er drehte sich um, blickte in ein verblüfftes, bartloses Gesicht, packte den Mann an der Brust, zerschmetterte ihm mit einem Fausthieb den Kiefer und schleuderte ihn ohne weitere Umstände quer durch die Wirtsstube. Bänke und Tische fielen um, und Menschen sprangen schreiend zur Seite. Jetzt lachte niemand mehr. Und dann brüllte Grams, so wie er vor den Ringkämpfen immer gebrüllt hatte, um den Gegner einzuschüchtern. Er brüllte die ganze Welt an, und er blickte in ein paar blasse Gesichter, Männer, die plötzlich alles stehen und liegen ließen und schreiend zur Tür stürmten. Aber Heiram Grams war noch nicht mit ihnen fertig, und sein Brüllen ließ die Wände erzittern.
Teis Aggi fror, war müde und hungrig. Er führte einen kleinen Trupp seiner Männer zurück zur Burg und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er genauso übermüdet war wie sie. Stundenlang hatten sie die Neustadt abgesucht, aber von diesem verfluchten Schatten keine Spur gefunden. Die Bürgerwehr hatte sich an der Jagd beteiligt, aber das war eher Fluch als Segen, denn diese ehrbaren Männer gaben immer wieder falschen
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