Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
länger. Asgo war doch schon ein halber Fischer, er würde Ria Hegget heiraten und war versorgt. Und Stig war zwar verträumt, aber nicht dumm. Meister Dorn würde ihn sicher aufnehmen. Und ihr Vater? Nun, der sollte eben sehen, wo er blieb, wenn niemand mehr da war, der all die Unordnung aufräumte, die er anrichtete. Warum sollte sie sich also länger gegen diese tiefe Müdigkeit wehren? Der Schlaf umfing sie, und der Tod, der mit dem Schlaf wartete, breitete freundlich die Arme aus. Ein Geräusch drang an ihr Ohr. Sie öffnete widerwillig die Augen.
Die Tür stand offen und ein Homunkulus war an den Tisch getreten. Er stand einfach da und starrte sie mit seinen zu großen, blassblauen Augen stumm an. Sie stöhnte gegen ihren Knebel an, bat mit flehenden Blicken, aber er rührte keinen Finger. Sie erkannte ihn. Es war jener, der hinkte, der, von dem Esara gesagt hatte, dass es bald mit ihm zu Ende gehe. Ilep, so hatte ihn der Adlatus getauft. Sie versuchte, ihn beim Namen zu rufen, aber der Knebel erstickte den schwachen Versuch. Sie sah Schweißperlen auf dem glatten, haarlosen Kopf. Dann schnaufte der Homunkulus, wandte sich ab und hinkte davon.
» Warte«, wollte sie ihm hinterherrufen, denn vielleicht konnte sie ihn doch irgendwie dazu bringen, ihr zu helfen. Aber auch dieser Ruf erstickte in dem alten Lappen, den Esara ihr in den Mund gestopft hatte. Sie schloss die Augen wieder. Für einen Augenblick hatte sie Hoffnung geschöpft, aber Hoffnung worauf? Auf ein Leben in der Köhlerhütte? Nein, es war vorbei. Sie hörte etwas, gedämpften Lärm, einen hohen Schrei, aber der kam von sehr weit weg, von einem Ort, der sie nichts mehr anging.
Der Tee stand auf dem Tisch. Darin sah Faran Ured verschiedene düstere Möglichkeiten, die er gegeneinander abwog, während er damit beschäftigt war, die beiden jungen Frauen von seiner Wunde fernzuhalten. Viel Zeit würde ihm nicht mehr bleiben: Die Soldaten, nach denen Aggi geschickt hatte, mussten bald hier sein. » Es ist wirklich nichts«, beteuerte er, aber das war gelogen. Der Schmerz wütete in seinem Bein, ein weiteres Zeichen, dass das Geschenk der Mahre seine Arbeit tat. Die Blutung hatte aufgehört, und wenn er die beiden besorgten Frauen den Verband wechseln ließ, würden sie feststellen, dass sich die Wunde bereits geschlossen hatte. Sie schnatterten aufgeregt, und er wusste, es würde zu schwierig werden, ihnen die Erinnerung an diese Ereignisse zu nehmen. Es war eine Sache, jemanden etwas völlig Belangloses vergessen zu lassen, aber je tiefer die Eindrücke waren, desto schwieriger war es, sie auszulöschen. Es gab nur eine wirklich sichere Lösung. Leutnant Aggi hatte immer wieder nur kurz in die Küche geschaut, ansonsten andere, wichtige Dinge im und vor dem Haus erledigt, was Ured zunächst leichtsinnig fand, aber dann begriff er, dass es die Anwesenheit der beiden jungen Frauen war, die den Leutnant aus der Küche vertrieb. Der junge Mann war offensichtlich schüchtern. Und er verdächtigte ihn zwar, hielt ihn aber offenbar nicht für gefährlich, vermutlich wegen der Wunde. Aber waren die Wachen erst einmal da, war die Sache verloren, und wenn die Baronin scheiterte, dann …
Faran Ured stöhnte wieder auf, um die Frauen von der Wunde fernzuhalten. Er konnte nicht riskieren, dass der Leutnant die Pläne der Baronin durchkreuzte. Das Leben seiner Frau und seiner Töchter hing von ihrem Erfolg ab. Ured würde sein Leben für sie geben, und er würde erst recht nicht zögern, das Leben des Leutnants – und wenn es sein musste, sogar das dieser beiden Frauen – für ihre Sicherheit zu opfern. Also sagte er: » Kommt doch in die Küche, Leutnant Aggi, denn ich habe etwas mit Euch zu besprechen.«
Aggis Blick war ausgesprochen kühl, als er eintrat, aber Faran Ured lächelte auf die ihm eigene, freundlich-harmlose Art. Seine Hand lag an der Schüssel, die immer noch auf dem Pergament stand, auf dem so oft sein Name geschrieben war.
» Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es Meister Quent, nicht mir«, meinte Aggi.
» Ich weiß gar nicht, was Ihr habt, Leutnant Aggi«, entgegnete Ured mit einem beinahe demütigen Lächeln.
» Was ich habe? Fragen habe ich, denn immer seid Ihr dort anzutreffen, wo seltsame Dinge geschehen. Ihr wart am Bach, als wir den armen Apei Ludgar fanden, Ihr wart am Markt, als der Fernhändler starb, Ihr wart im Schwarzen Henker, als der Schatten dort war. Ich weiß nicht, wie, aber ich weiß, dass Ihr in seltsame Dinge
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