Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
Wettbewerb im Schafscheren. Ich glaube, da macht unseren Taddorern so schnell keiner was vor.« Beleran musste selbst über seinen Einfall lachen, und Shahila stimmte mit ein. Er wandte sich ihr zu und umarmte sie. » Ich weiß, du bist die Tochter eines mächtigen Herrschers, und ich nehme an, du hattest mehr Diener und Sklaven, als es in Taddora Schafe gibt, aber dieses kleine Stück Land gehört uns, und ich freue mich darauf, mit dir dort alt zu werden und zu sehen, wie es wächst und gedeiht, Liebste.«
Shahila errötete. Er meint es tatsächlich ernst. Sie spürte seine sanften Hände, seine zarte Umarmung, und fühlte sich in seinen Armen plötzlich wohl und geborgen. Für einen Augenblick stand die Welt still. War es möglich, dass sie auf diesem armseligen Stück Küste gemeinsam alt und glücklich wurden? Aber dann dachte sie an ihre Mutter, wie sie einst an dieser Säule im Palast von Elagir gestanden hatte und vor aller Augen ausgepeitscht worden war. Auch sie hatte einmal den schönen Worten ihres Mannes geglaubt. Sie schob den Baron sanft zurück und sagte mit einem verlegenen Lächeln: » Schafe schert man nicht im Spätsommer, Liebster. Und nun geh, die Kämpfe gehen weiter, und die Atgather sollten wenigstens einen der herzoglichen Prinzen auf dem Markt sehen.«
Als Beleran ging, bemerkte Shahila, dass sie zitterte. Sie schloss das Fenster, aber das Zittern blieb. Sie schüttelte den Kopf. Es war ohnehin zu spät. Die Saat war schon lange ausgebracht, und jetzt war die Stunde der Ernte gekommen.
Es war nur ein leises Knirschen zu hören, dann bewegte sich der schwere Quader. Marberic legte die Hand auf den nächsten, murmelte etwas in der Mahrsprache, und auch dieser Block begann sich zu bewegen. Sahif sah staunend zu, wie sich die zentnerschweren Blöcke so leicht verschoben, als seien sie Federn.
» Unglaublich«, murmelte er.
» Mahre machen diese Steine, Mahre können sie bewegen«, sagte Marberic trocken.
» Und Mahre können sie schweben lassen«, stellte Sahif beeindruckt fest.
In der Tat schienen die Steine in der Luft zu verharren. Marberic zuckte mit den Achseln und schob die Steine mit der Hand noch ein Stückchen auseinander, so dass sie hindurchgehen konnten. Sahif folgte ihm. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und legte eine Hand an einen der schwebenden Blöcke. Er drückte, strengte sich an, aber der Block rührte sich keinen Fingerbreit.
» Mahre haben diese Steine gemacht, nicht Menschen«, meinte Marberic mit einem flüchtigen, aber sehr zufrieden wirkenden Grinsen.
Sahif nickte. Seine Achtung vor der Magie dieser Bergwesen wuchs Stunde um Stunde. » Wohin jetzt?«, fragte er.
Zu beiden Seiten erstreckte sich ein langer, finsterer Gang. Keine der beiden Richtungen sah besonders einladend aus.
Der Mahr legte ein Ohr an die Wand und lauschte. » Dort entlang«, sagte er schließlich und wies nach links. » Schnell.«
» Was hast du gehört?«, fragte Sahif, als sie den Gang entlanghasteten.
» Grams Tochter. Sie stirbt.«
Ela Grams spürte eine bleierne Müdigkeit. Sie lag festgeschnallt auf diesem blutgetränkten Tisch und hörte das leise Pling, Pling, mit dem das Leben aus ihren Adern tropfte. Sie wollte nicht einschlafen, sie wusste, wenn sie jetzt einschlief, dann würde es für immer sein, und was würde dann aus Stig und Asgo werden? Und was aus ihrem Vater? Nein, sie durfte nicht sterben. Also kämpfte sie, sie kämpfte einen stummen, verzweifelten Kampf gegen diese tiefe Müdigkeit, die sie in das Reich des Todes locken wollte. Die Augen fielen ihr zu, sie riss sie wieder auf. Sie versuchte, den Knebel aus dem Mund zu drücken, denn wenn sie nur laut genug schrie, dann musste doch jemand kommen und sie retten, aber der Knebel rührte sich nicht. Warum hat Esara mich nicht gehen lassen?, fragte sie sich . Was habe ich ihr getan, dass sie mich so hasst? Die Augen fielen ihr wieder zu, und es kostete sie viel Kraft, sie erneut zu öffnen. Es wäre aber doch so einfach, so schmerzlos, auf diese Weise zu gehen. War es nicht das, was sie immer gewollt hatte, einfach fortgehen? Was hatte sie schon zu verlieren? Ein Leben in Armut, einen trunksüchtigen Vater.
Stig und Asgo, dachte sie, ich darf sie nicht im Stich lassen. Für eine Weile hielt sie dieser Gedanke wach, dann spürte sie wieder die Schwere ihrer Lider, die sich Stück für Stück schließen wollten. Sie gab nach. Nur einen Augenblick, nur, um Kraft zu schöpfen, dachte sie und wehrte sich nicht
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