Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
Spitzhacke in den Gürtel gesteckt und nahm sie jetzt vorsichtshalber zur Hand. Er verstand nicht, was da vor sich ging. Warum versteckten sie sich nicht, wenn ihnen Gefahr drohte? Sie waren erst vor wenigen Schritten an einem Seitenstollen vorübergekommen. Warum löschten sie nicht wenigstens die Laterne? Das Licht kam näher. Heiram Grams wunderte sich nun noch mehr, denn da kam offensichtlich ein Mahr des Weges. Er trottete durch die Dunkelheit genau auf sie zu. Dann konnte er sehen, dass Marberic sich ein wenig duckte und das Messer fester nahm. Der Mahr kam in gleichmäßigem Schritt näher. Dem gedämpften Klang nach lief er barfuß. War es vielleicht gar kein Mahr, sondern ein Kind? Grams runzelte die Stirn.
Das Kind, wenn es denn eines war, kam immer näher, und Marberic wurde immer unruhiger, jedoch ohne Anstalten zu machen, das Licht zu löschen. Nun, vielleicht war es zu spät, denn der andere musste ihre Laterne schon lange gesehen haben. Er war jetzt so nah herangekommen, dass Grams erkennen konnte, dass er sich gründlich getäuscht hatte: Es war weder ein Kind noch ein Mahr, es war eine Abscheulichkeit, wie er sie nicht einmal in seinen Albträumen gesehen hatte, ein glattgesichtiges, blasses Wesen mit wässrig blauen Augen, aber ohne Augenbrauen, Haare oder Lippen und mit nur winzigen Ohrmuscheln. Es trug graue Kleidung, ein Messer im Gürtel und eine Tasche über der Schulter. Es lief genau auf sie zu, dann blieb es plötzlich keine zwanzig Schritte von ihnen entfernt stehen. Grams hörte es mit seiner winzigen Nase schnüffeln. Es hob sein Licht, leuchtete den Stollen aus, fand eine Markierung an der Wand und stellte seine Tasche ab. Jetzt stellte auch Marberic seine Laterne auf den Boden und schlich langsam einige Schritte näher heran.
Das Wesen zog Hammer und Meißel hervor und fügte der Markierung an der Wand mit leichten, schnellen Schlägen eine weitere hinzu. Dann packte es das Werkzeug ohne besondere Eile wieder ein, warf sich die Tasche über die Schulter, drehte sich halb um und erstarrte mitten in der Bewegung. Marberic hatte es fast erreicht. Das Wesen schnüffelte noch einmal, drehte sich dann aber doch vollends um und trottete davon. Marberic sprang los und hob das Messer zum Stich. Sein Gegner fuhr herum, schrie leise auf, schleuderte dem Mahr seine Tasche entgegen und griff in seinen Gürtel nach seinem Messer. Aber Marberic war viel zu schnell. Sein Feind stieß einen quiekenden Laut aus und lag tot am Boden, bevor er seine Klinge auch nur gezogen hatte.
Grams hatte mit offenem Mund zugesehen. Jetzt nahm er die Laterne auf und lief schnell zum Mahr, der mit grimmigem Gesicht über sein Opfer gebeugt stand. Schwarzes Blut quoll aus dem Leib und bildete eine hässliche Lache. Die übergroßen blauen Augen schienen ihn vorwurfsvoll anzublicken.
» Was ist das?«, fragte er flüsternd.
» Unhold«, sagte Marberic nur. Er hob die Tasche auf und durchsuchte sie. Grams schien der fahle Funke, der tief in seinen Augen brannte, heller zu glimmen.
» Warum, ich meine, warum hat das da uns nicht bemerkt?«, fragte Grams. Das Wesen lag reglos zu seinen Füßen. Wie zierlich seine Glieder waren! Der Köhler fand, dass es weit weniger unnatürlich aussah, seit es tot war.
Marberic schnaufte verächtlich und wies nach hinten. Grams drehte sich um und entdeckte verblüfft eine Felswand, wo eben noch der Stollen gewesen war. Er lief mit der Laterne hin und legte die Hand auf den Felsen. Halb erwartete er, ins Leere zu greifen, aber seine Finger fühlten harten, kalten Stein. Er entdeckte an der Seite die Markierung, die das Wesen hinterlassen hatte.
» Wie …?«, fragte er. Dann erinnerte er sich wieder an den Beginn seiner Wanderung, als ihn der Mahr am Arm gepackt und durch massiven Fels gezogen hatte.
Marberic zuckte mit den Achseln. » Steinzauber. Aber ab jetzt müssen wir aufpassen, wir sind innerhalb der Stadtmauern.«
Abend
Shahila von Taddora saß vor dem Silberspiegel und zog ihre Augenbrauen nach. Rahis Almisan war noch nicht zurück, und in der Burg erzählte man sich Gerüchte über eine Einheimische, die die Geliebte eines gedungenen Mörders sein sollte und dem Adlatus zum Verhör übergeben worden war. Das gab ihr zu denken. Sie starrte angespannt auf das verschwommene Spiegelbild. Atgath war wirklich armselig, selbst in Taddora gab es inzwischen einen Glasspiegel, allerdings hatte sie ihn aus Elagir mitgebracht, er war ein Teil ihrer Aussteuer. Ihr Gemahl ging in der
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