Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
durch die dunklen Straßen gingen. Sie hatte das Gefühl, dass die leeren Fensterhöhlen sie missbilligend anstarrten, als wüssten sie, was sie vorhatte. Sie näherten sich dem Ziel dieser Reise. Während der zweieinhalb Tage auf See hatte sie kaum an das gedacht, was vor ihr lag, doch jetzt wurde es ernst, und sie war voller Zweifel, ob es so lief, wie sie es geplant hatte: Sahif war zwar auf der Insel der Toten, der Insel, auf der sie – und er – das Handwerk des Tötens gelernt hatten, aber es war noch ein schwieriger und vor allem gefährlicher Weg nach Du’umu, dem verbotenen Ort.
Sie war plötzlich unsicher, ob der alte Freund, den sie dort hatte, ihr wirklich helfen würde, das magische Wort aus Sahif herauszuholen. Er war schwierig, unberechenbar, geradezu tückisch. Doch immerhin brachte sie ihm zwei Geschenke, Sahif und Ela, das sollte ihn doch gewogen stimmen. Oder nicht? Er schien seinerzeit eine Schwäche für sie gehabt zu haben, aber vielleicht lag das nur daran, dass niemand anders es gewagt hatte, ihn zu besuchen. Jetzt gab es die Ghula mit ihren Scholaren, die immer wieder nach Du’umu gingen. Wie würde er sie also empfangen? Sie baute auf seine grenzenlose Neugier. Der Schlüssel, das musste ihn doch interessieren. Und wenn nicht? Bisher hatte sie all diese Fragen verdrängt, aber nun wanderte sie in das Gewirr zerstörter Hausruinen und sah sie plötzlich als böse Omen. Es gab viele Unwägbarkeiten in ihrem Plan, vielleicht zu viele, aber es gab natürlich kein Zurück. Sie seufzte noch einmal, doch dieses Mal, weil sie ein leichtes Schwächegefühl überkam.
» Alles in Ordnung?«, fragte Sahif besorgt.
» Ja, es ist nichts, nur die Aufregung«, ließ sie Aina mit einem schüchternen Lächeln sagen. Aber das war gelogen: Es war ihr Körper, der gegen die andauernde Verstellung ankämpfte. Sie musste schnellstmöglich eine Gelegenheit finden, die Gestalt zu wechseln.
Sahif verlangte eine kurze Rast an einer Ruine, aber Ela wollte dort nicht bleiben, denn aus einer halb eingestürzten Dachgaube strömten plötzlich scharenweise Ratten hervor. Jamade gab als Aina vor, sich zu fürchten, denn es war nicht diese Art von Rast, die ihr Leib brauchte. Sie musste ihre eigene Gestalt annehmen, so schnell wie möglich. Ihr kamen die alten Geschichten wieder in den Sinn, vom Ewigwandler, der so oft und lang die Gestalt wechselte, bis er seine eigene vergessen hatte. Sie schüttelte sich und drängte den übervorsorglichen Sahif weiterzugehen.
» Ist es denn noch weit?«, fragte er Garwor.
» Wir müssen auf die Mauer, denn sonst müssten wir das Gebiet der Leichenfresser durchqueren, was zurzeit nicht klug wäre. Aber in weniger als einer halben Stunde sind wir am Turm.«
» Wird es denn gehen?«, fragte Sahif Aina besorgt.
Jamade ließ sie tapfer lächeln und nicken. Das war die nächste Schwierigkeit: Sie wurden von unerfahrenen Wegfindern geführt. Jamade kannte die Zwielichtebene und ihre Gefahren von früher noch recht gut, aber ganz gewiss nicht gut genug, um sie sicher überqueren zu können. Hawid von den Scholaren hatte Recht, auch wenn er es vielleicht nicht verstand: Es war nicht die Ebene, die sich ständig veränderte, es waren die Massarti, die Wächter, jene unheimlichen Bedrohungen, die selbst einem Schatten zum Verhängnis werden konnten. Sie brauchten einen erfahrenen Führer, nicht zwei grüne Jungs, die sich bestenfalls auf ihre schwachen Instinkte verlassen würden. Jamade kannte sogar den richtigen Mann, aber sie scheute davor zurück, Meister Iwar zu fragen. Sie war nicht erpicht darauf, ihm zu begegnen, außerdem würde er etwas für seine Hilfe verlangen, wahrscheinlich mehr, als sie zu geben bereit war. Aber es war ohnehin müßig, darüber nachzudenken, denn sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn erreichen und wie sie die beiden Westgarther loswerden sollte – und das alles noch vor dem Morgengrauen. Es ging doch schon auf Mitternacht, auch wenn der rötliche Nachthimmel den Eindruck erweckte, die Sonne sei gerade erst untergegangen.
Shahila beriet sich mit Almisan in einer der leer stehenden Kammern von Burg Atgath, denn Beleran schlief unruhig und durfte nicht durch einen dummen Zufall von diesem Gespräch erfahren.
» Es sind mehrere Männer, die dieses Heer führen«, berichtete Almisan. » Da ist zum einen unser alter Freund Brahem ob Gidus, dann ein Mann, der zum Seerat gehört und Drubal genannt wird. Sie sind die treibenden Kräfte bei dieser Unternehmung,
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