Schattenprinz
ihn.
Schließlich zog er sich zurück. Es war eine schnelle Bewegung, nicht unbedingt schmerzhaft, sondern eher ein kalter Schauer, als sich sein warmer Mund von ihr löste. Schnell legte Gareth einen Streifen seines zerrissenen Hemds über die kleine Wunde und verknotete ihn mit sanften Fingern.
Schon zeigte sich ein wenig Farbe auf seinen blassen Wangen, als er sich ihr dunkles, sattes Blut von den Lippen wischte.
»Habe ich dir wehgetan?«, fragte er beinahe beschämt.
Es dauerte einen Augenblick, bis sie ihre Stimme wiederfand. »Nein, Gareth, das hast du nicht«, versicherte sie ihm leise. »Aber war es genug? Deine Wunden sehen immer noch grauenhaft aus.« Sie hatte keine Vorstellung davon, wie lange Vampire brauchten, um ihre Wunden zu heilen. Abgesehen davon, wie man sie tötete, wusste sie nur wenig über Vampire. Und selbst wenn er keinen Schmerz spüren konnte, tat sie das jedes Mal sehr wohl, wenn sie seine offenen Wunden ansah.
»Es war genug«, sagte er. »Danke. Ich bin dir wirklich sehr dankbar.«
»Du kannst gerne mehr haben, wenn das helfen würde.«
»Noch mehr würde dich zu sehr schwächen, um die Reise fortzusetzen. Vertrau mir. In etwa einer Stunde werden sich meine Wunden schließen. Dein Blut heilt mich.« Gareth neigte den Kopf.
Er hatte immer gewusst, dass sie etwas Besonderes war, aber er hätte nie mit dem gerechnet, was sich ihm beim Trinken offenbart hatte. Sie war furchterregend in ihrer Macht, dennoch fürchtete er sich nicht. Er hatte sich Absolution von ihr gewünscht, und endlich war sie ihm gewährt worden: Sie hatte keine Angst mehr vor ihm. Er würde ihr für immer treu ergeben sein, und nun war er deswegen verdammt. Seine ganze Spezies war verdammt, doch das war ihm egal.
Adele küsste ihn sanft auf den Kopf, schmiegte die Wange an ihn und schwelgte in der Erleichterung, die sie bei seinen Worten spürte.
Mit einem bebenden Atemzug hob er den Blick. »Ich werde dich immer beschützen.«
Einen kurzen Moment lang vergaß Adele ihre bevorstehende Vermählung mit einem Mann, den sie nicht kannte und der ihr nichts bedeutete. Stattdessen genoss sie den Augenblick, den sie mit Gareth, dem Greyfriar, teilte. Die schlichte Freude, die diese Tatsache ihr bereitete, ließ ihr Herz jubeln.
»Wir müssen weiter«, warnte Gareth. Die Angst, sie wieder zu verlieren, lastete schwer auf ihm.
»Ich weiß.« Adele stand auf und zog Gareth mit sich hoch, um ihn zu stützen, doch seine Kraftreserven waren bereits wieder aufgefüllt, und seine starken Hände gaben ihr mehr Halt als sie ihm. Nur widerstrebend lösten sie sich voneinander. Adele hob ihr Kreuz wieder auf und rückte den Fahrenheit-Dolch und Greyfriars Revolver in ihrer Schärpe zurecht.
Sie war bereit.
30
30
C esares Luftschiff schob sich durch die Luft über Schottland.
Das Schiff flog tief und langsam, aber getrieben vom Bewusstsein der Überlegenheit. Es bestand keine Gefahr, dass es von einem Feind angegriffen wurde. Es war der König der Lüfte, trotz der Tatsache, dass es nur ein unbemalter Rumpf aus splitterndem Holz mit zerschlissenen Segeln war. Es sah aus wie ein Geisterschiff. Die Blutsklaven interessierten sich wenig für seemännische Disziplin oder Wartung.
Ungeduldig schritt Cesare im Bug auf und ab, und ein grausames Lächeln zuckte über die dünnen, blutleeren Lippen des Prinzen. Zweifellos kochte Gareth vor Wut darüber, dass sein jüngerer Bruder die Kühnheit besaß, ihn auf seinem eigenen Grund und Boden herauszufordern. Wäre Gareth ein wahrer Edelmann, hätte er inzwischen längst sein Rudel, wenn er eines besäße, auf Cesare gehetzt. Cesare hätte liebend gern gekämpft. Sein Bruder musste auf seinen Platz verwiesen werden. Endlich glitten die schwarzen Steine von Edinburgh Castle unter dem Rumpf des Schiffes dahin. Und immer noch kam keine Herausforderung von Gareth.
Cesare sprang über die Reling, gefolgt von Flay und einem Kader der Pale. Sie landeten im Haupthof der Burg. Der Ort war leer – bedrückend verlassen, um genau zu sein. Bis auf die Katzen, von denen einige die Vampire groß anstarrten, als sie die Burg betraten. Die kleinen Biester brachten Cesare aus der Fassung. Ihr unablässiges Miauen bohrte sich in seine empfindlichen Ohren. Wie typisch für Gareth, inmitten von solchem Ungeziefer zu leben.
»Zeig dich, Gareth!«, rief Cesare. »Ich habe keine Zeit für Spielchen!«
Aus den Schatten trat ein hochgewachsener, schlanker Vampir.
»Baudoin«, knurrte Cesare. »Dich
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