Schattenprinz
dienen konnte – eine Schere, Faden und eine einfache Nadel. Er mühte sich damit ab, den Gehrock auszuziehen, und schnell kam sie ihm zu Hilfe. Dann schnitt sie mit der Schere sein zerfetztes Hemd auf. Als sie die bösen und hässlichen Wunden sah, keuchte sie entsetzt.
»Oh, Gareth«, hauchte sie. Flink fädelte sie den Faden in die Nadel, doch als sie sich daranmachen wollte, das zerfetzte Fleisch zu nähen, zögerte sie.
»Ich werde es nicht spüren«, versicherte Gareth ihr, obwohl er schon bei ihrer Berührung schmerzerfüllt das Gesicht verzog. »Schnell jetzt. Tu, was du tun musst. Still die Blutung, und ich kümmere mich um den Rest.«
Adele zögerte immer noch, ihm zusätzlichen Schmerz zuzufügen. »Soll ich mein Kreuz abnehmen?«
»Das macht keinen Unterschied. Solange du nicht für mich betest.«
Mit einem Schnauben über seinen merkwürdigen Sinn für Humor meinte sie: »Sicher ist sicher.« Sie legte das silberne Schmuckstück beiseite und machte sich mit zusammengebissenen Zähnen an die Arbeit. Gareth zuckte weder zusammen, noch stöhnte er, deshalb wurde sie allmählich zuversichtlicher, bis sie merkte, dass sie ihn so zügig zusammenflickte wie ein maßgeschneidertes Hemd. Dieser Vergleich machte es zwar leichter zu ertragen, aber nicht weniger schrecklich.
Selbst ohne das Kreuz spürte Gareth ein Kribbeln bei ihrer Berührung, jedoch ohne die überwältigende Intensität. Mit aufmerksamem Blick beobachtete er sie. Ihr trotz aller Widrigkeiten unerschütterliches Wesen war beruhigend. Die Erschöpfung zehrte an ihm, und manchmal wurde ihm schwarz vor Augen, als sein Körper zu versagen drohte. Es widerstrebte ihm zutiefst, sich das einzugestehen, aber er brauchte Nahrung. Baudoins tadelnde, finstere Miene tauchte vor seinem inneren Auge auf, als bitte der Diener seinen Herrn darum, zu essen und Kraft zu sammeln. Gareth lächelte.
»Gareth?« Adeles besorgte Stimme rief ihn. Es dauerte einen Augenblick, doch dann konzentrierte sich der Prinz, während ein Brennen in sanften Wellen seine Nerven entlanglief. Er hatte nicht bemerkt, dass ihm die Augen zugefallen waren. Sie hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt und versuchte besorgt, ihn wachzurütteln.
»Es geht mir gut.« Er richtete sich auf und legte beruhigend eine Hand auf die ihre. Wieder durchströmte ihn die Kraft in ihr. Es fühlte sich an wie ein dumpfes Pochen unter seiner Haut.
»Du bist so blass«, flüsterte Adele, als sie sich zögernd wieder zurücklehnte.
»Ich wurde blass geboren.« Er ließ ihre Hand los, und der Strom versiegte. Er versuchte aufzustehen, hatte aber immer noch nicht die Kraft dazu. »Hilf mir hoch.«
Doch das tat sie nicht, sondern musterte ihn mit Augen voller Sorge. »Du musst dich nähren, nicht wahr?«
Er seufzte. »Irgendwann. Es wird mir das zurückgeben, was ich verloren habe. Aber jetzt ist keine Zeit dafür. Komm, hilf mir, auf die Füße zu kommen.« Er zog die langen Beine unter sich, konnte aber nicht genug Kraft aufbringen, um sich hochzustemmen.
Adele verspürte einen Stich der Scham. Morgana und andere Menschen waren freiwillig bereit, etwas von ihrem Lebensblut zu geben, um Gareth zu helfen, und fanden es nicht seltsam oder abstoßend. Adele kannte Gareth erst kurze Zeit, dennoch verstand sie diese Verbundenheit bereits.
Er hatte so viel von sich selbst gegeben, um sie zu beschützen, um jeden zu beschützen. Und immer noch weigerte er sich, Schwäche zu zeigen. Das Herz hämmerte ihr in der Brust, als die Wucht der Erkenntnis sie überrollte, was dieser Vampir, dieser Mann ihretwillen erduldet hatte. Die Menschenfrau, die Prinzessin von Equatoria wusste, was sie tun musste.
Sie hielt Gareth ihren entblößten Arm entgegen und begegnete seinem blassen Blick.
Seine Augen weiteten sich, als ihm bewusst wurde, was sie damit andeuten wollte, und er wich zurück. »Nein, ich kann nicht … Ich werde mich von jemand anderem nähren.«
»Hier ist sonst niemand. Gareth, du verstehst nicht. Ich will das hier.« Adele konnte es nicht ertragen, ihn auch nur eine einzige Minute länger leiden zu sehen, nicht, wenn sie seine Schmerzen lindern konnte.
»Aber es gibt keinen Grund dazu!«
»Es gibt allen Grund dazu! Ich habe diese Schmerzen verursacht.« Ihre Finger strichen federleicht über seine grauenhaften Wunden. »Also sollte es auch mein Blut sein, das dein Leiden lindert.« Sie rückte näher zu ihm und wappnete sich.
Gareth wechselte einen panischen Blick mit ihr und versuchte
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