Schattenprinz
Gareth die ausgeweideten Eindringlinge, als vergleiche er sie kaltblütig mit Schautafeln in einem Anatomiebuch. Kaum außer Atem musterte er anschließend Adele von Kopf bis Fuß. Sein stechender azurblauer Blick jagte ihr einen Schauer durch den Körper. »Bist du verletzt?«
»Nein. Wer waren sie?« Der Anblick des Prinzen erstaunte Adele. Er war so schick gekleidet mit seinem schwarzen Cutaway und den glänzenden Lederschuhen, aber er troff vor rotem Nass. Sie war gleichermaßen entsetzt und begeistert über die Leichtigkeit, mit der Gareth diese Vampire niedergemacht hatte, sowie über die Genugtuung, die er deswegen zu verspüren schien. Sein Angriff war schnell und brutal gewesen, aber auch beinahe elegant.
»Sie waren Tölpel vom Land«, antwortete Gareth. »Sie wollten eine Mahlzeit und wussten nicht, dass du unter meinem Schutz stehst. Jetzt wissen sie es.« Er lächelte süffisant. »Tote können deine Rechte nicht mehr verletzen. So funktioniert Vampirpolitik.«
Hat er etwa gerade einen Witz gemacht, fragte sich Adele mit großen Augen.
Der Vampir wies mit ausgestrecktem Arm auf die Tür zu ihren Gemächern. »Hol deine Sachen und komm mit mir ins Museum. Zu deinem eigenen Schutz.«
»Warum?«
Gareth sah in den dunkler werdenden Himmel empor. Eine abscheuliche Schar wirbelte durch die Luft wie schwarze Schneeflocken, die vom Wind erfasst wurden. Sich windende Gestalten berührten und verwoben sich im Flug auf widerwärtige Weise miteinander und gesellten sich dann wieder zu der stumpfsinnigen Masse. Adele erschauderte vor Entsetzen und sprach ein Gebet.
»Der Clan versammelt sich«, sagte Gareth.
Gareth beobachtete Adele dabei, wie sie sich daranmachte, ihre neuen Gemächer im Museum einzurichten. Sie hatte seine Ankunft nicht bemerkt, was ihn freute, da sie ein einzigartiges Gespür für die Bedrohung durch Vampire besaß. Gerade rückte sie ein paar ägyptische Gegenstände zurecht, die sie aus den Trümmern gerettet hatte, darunter eine kleine Büste von Ramses. Gareth fiel der Gegensatz zwischen dem zeitlosen Gesicht des Königs und dem zerbrechlichen Leben der zukünftigen Kaiserin ins Auge. Unvermittelt verstand er den Wert solcher Gegenstände. Eines Tages würde es Statuen von Kaiserin Adele geben, die die Menschen noch Generationen später betrachten würden. Durch den stummen Stein würden sie etwas über sie erfahren können. Ein Teil von ihr würde die Zeit überdauern, vielleicht sogar noch lange, nachdem Gareth zu Staub zerfallen war.
Menschen lebten nur kurze Zeit im Vergleich zu Vampiren, doch die Menschheit blieb unsterblich. Vampire würden das nie verstehen. Und das würde ihr Untergang sein. Menschen schwanden und strauchelten, oft starben sie wie die Fliegen. Gareth erinnerte sich an die Tage der Pest, als die Vampire ihren Vorteil nutzten und viele Tausende in ganz Europa töteten. Aber die Welle der Vampire zog sich wieder zurück, wie sie es immer tat, und die Menschen erholten sich wieder. Wie sie es immer taten.
Das Große Morden vor eineinhalb Jahrhunderten war mehr als nur eine weitere Welle gewesen. Die Menschen hatten sich in einem einzigartigen Zustand der Verwundbarkeit befunden, da sie die Magie des Glaubens verloren hatten und Stahl und Dampfkraft noch nicht beherrschten. In dem darauffolgenden Jahrhundert hatten die Menschen ihre Wahl getroffen und sich die Technologie zu eigen gemacht. Gerüchte aus dem Grenzgebiet sprachen von neuen Waffen – Gas, das blendete, Kanonen, die taub machten, und Pistolen, die mit hoher Geschwindigkeit Kugeln spuckten. All das erlaubte es einem einzigen Soldaten, viele Vampire zu töten, unabhängig davon, wie schnell sie waren. Überall zeigten menschliche Armeen immer größeres Geschick im Kampf gegen Vampire, und, was noch bedeutender war, die lähmende Angst, die den Vampiren während des Großen Mordens so von Nutzen gewesen war, schwand mit wachsender Gewöhnung.
Sogar in der Abgeschiedenheit seines Zufluchtsortes konnte Gareth den Lärm des Tumults hören. London war voll Feierstimmung. Tausende Menschen waren in die Stadt getrieben worden, um die versammelten Feiernden zu nähren. Er konnte sich vorstellen, dass die Böden des Palastes inzwischen glitschig von stockendem Blut waren, und wahrscheinlich war sein Vater aufgebläht und verwirrt, wie er es für den Rest der Zusammenkunft bleiben würde. Cesare dagegen würde der stets wachsame Stellvertreter des Königs sein. Gareth hatte vor, die Feierlichkeiten
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