Schattenprinz
nackten und zerlumpten Menschen mit ausdruckslosen Gesichtern. Männer, Frauen und Kinder. Manche waren in Ketten gelegt oder gefesselt, doch die meisten standen nur reglos ohne Fesseln da oder hockten still auf den Pflastersteinen und warteten darauf, dass ihre Verschlinger sie nach Belieben aufgriffen. Es machte Adele wütend, dass die Menschen nicht wenigstens versuchten wegzulaufen, aber sie wusste, dass sie nicht länger Menschen im eigentlichen Sinne waren. Sie waren wie Vieh als Nahrungslieferant gezüchtet worden und verhielten sich auch so.
Gareth blieb in ihrer Nähe, was Adele tröstlich fand. Dennoch sprangen gelegentlich rasende Vampire mit blutigen Gesichtern aus der Menge auf sie zu in der Hoffnung, etwas Neues zu kosten. Die Pale schoben die Störenfriede unter ärgerlichen Zurechtweisungen zurück, Flay allerdings stapfte ohne ersichtliches Interesse weiter. Gareth dagegen war nicht so nachsichtig. Er schnappte sich mehrere Vampire, die nach Adele griffen, und machte ihren abendlichen Feierlichkeiten ein jähes und grausames Ende. Bald schon war der schwarz gekleidete Prinz ebenso blutig wie die durchtränkten Zecher, und das Knurren, das aus seiner Kehle drang, erinnerte Adele an einen gefangenen, bösartigen Hund. Trotzdem ertappte sie sich dabei, dass sie sich enger an ihn drängte, als sich die Luft mit jedem Schritt mehr mit Schreien der Qual und Lust füllte.
Bald ragte der alte Buckingham Palace in der Dunkelheit vor ihnen auf. Sie gingen die fleckigen Stufen empor, an Säulen aus geädertem Marmor vorbei und betraten einen großen Korridor, der einst hell und verschwenderisch in leuchtenden Farben und goldenem Zierrat gestrahlt hatte und nun trostlos und dreckverkrustet war. Zerschlissene Überreste von Teppichen klebten auf dem Fußboden der breiten Galerie. Die maroden Einrichtungsgegenstände des Palastes waren überhäuft mit Bergen aus Knochen und Hunderten von Schädeln, die von zerbrochenen Kronleuchtern herunterstarrten. Vampire lümmelten an den Wänden, trunken von Blut, die roten Hände manchmal auf Menschen ruhend, die noch Lebenszeichen zeigten.
Die Prinzessin und ihre Eskorte verließen die Hauptgalerie und durchquerten eine Reihe kleinerer Räume. Sie waren überfüllt mit Vampiren, die noch nicht betrunken waren, und Blutdienern, die zügig Menschen von einem Ort zum anderen trieben. Sie alle machten den Weg für Flay und ihr rot berocktes Gefolge frei. Köpfe wandten sich ihnen zu, als die Pale vorbeigingen, und Hunderte neugieriger blauer Augen hefteten sich auf Prinzessin Adele. In einem kleinen, düsteren Zimmer nahm sie ein großer Vampir in Empfang, der eine merkwürdige karierte Jacke und gestreifte Hosen trug. Er besprach sich mit Flay.
Gareth beugte sich zu Adele herab. »Das ist Cesares Verwalter, Stryon. Es ist ungewöhnlich, ihn außerhalb von Dublin zu sehen.«
Als Stryon seine Unterhaltung mit Flay beendet hatte, verbeugte er sich vor Gareth. »Mylord, wollen Sie sich nicht zu Seiner Majestät und Prinz Cesare gesellen?«
Gareth quittierte die Huldigung mit einem knappen Nicken. »Ich warte hier bei meiner Gefangenen.«
»Sehr wohl.« Der Blick des Verwalters huschte ohne Gefühlsregung zwischen Gareth und Adele hin und her, bevor er sich entfernte.
»Wir warten, bis wir hineingerufen werden«, sagte Flay müde. Dann heftete sich ihr Blick auf Adele, und sie musterte die Prinzessin mit schneidender Neugier.
Einige der Pale begannen sich leise fauchend zu unterhalten. Sie fragten sich, ob die Königsfamilie die Prinzessin wohl mit den Clanlords teilen würde. Flay machte sich nicht die Mühe, ihre Soldaten zum Schweigen zu bringen, und tatsächlich zuckte sogar ein unverschämtes Lächeln über ihre vollen Lippen.
Keinem von ihnen war bewusst, dass Adele verstand, was sie sagten. Es gelang ihr, eine ruhige Miene zu bewahren, während das Geplauder der Soldaten blutiger wurde und sie sich darüber ausließen, wie köstlich sie sein würde. Im Schutz der Falten ihres Umhangs schob Adele eine Hand in die tiefe Tasche ihres schweren Rocks und tastete nach dem harten, glatten Uschebti. Es gab ihr ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit, als ihre Finger über die weichen Facetten der kleinen Figur strichen. Gareth warf der jungen Frau einen Blick zu und verlagerte kaum merklich sein Gewicht, als wolle er ein paar Zentimeter mehr Abstand zwischen sie bringen. Flays Blick verengte sich und fiel auf Adeles Rock, als nähme die Vampirin etwas Eigenartiges
Weitere Kostenlose Bücher