Schattenschwestern - Feehan, C: Schattenschwestern - Conspiracy Game
die Augen aufzuschlagen. »Ich komme mir vor wie in einem Pornofilm. Das gehört sich doch nicht.«
Briony lachte. »Werdet ihr beide wirklich schlafen? Sind wir nicht umzingelt?«
»Ken wird schlafen; er sollte längst eingeschlafen sein«, sagte Jack. »Wir wechseln uns ab. Wenn sie versuchen, in den Canyon zu gelangen, werden wir es wissen. Dann schlendere ich mal kurz auf diesen Bergkamm und schrecke sie ab. Wahrscheinlich werden sie warten bis zum Anbruch der Nacht – wie wir.«
Briony blickte zu dem dichten Dach aus Ästen und Laub auf. Die Luft war kühl, und der letzte Rauch war fortgeweht. Sie hätten zum Spaß zelten können, statt sich vor einer sehr gefährlichen militärischen Kampfgruppe zu verstecken. Keiner der beiden Männer wirkte auch nur im Geringsten gestresst. Wenige Minuten später war sie sicher, dass Ken tatsächlich eingeschlafen war.
Jacks Hand fand ihre, und seine Finger schlangen sich um ihre. »Du solltest immer möglichst sparsam mit deinen Energien umgehen, Kleines«, riet er ihr und führte ihre
Hand an seinen Mund. »Du wirst es lernen. Schlaf jetzt, wenn du kannst.« Er zog eine leichte Decke über ihren Körper, um sie gegen die kälteren Temperaturen zu schützen.
»Sprich mit mir. Erzähle mir von dir und Ken. Wie alt wart ihr, als ihr eure Mutter verloren habt?« Sie wollte nicht sagen: »als du euren Vater getötet hast«, aber irgendwie standen die Worte doch zwischen ihnen.
»Neun. Wir waren neun Jahre alt.«
»Was ist aus euch geworden?«
»Sie haben uns beide ins Krankenhaus mitgenommen und dann versucht, uns bei diversen Pflegeeltern unterzubringen. Manchmal haben sie uns voneinander getrennt, aber das war gar keine gute Idee. Wir sind ausgerissen und haben einander ausfindig gemacht. Wenn einer von uns beiden misshandelt wurde, haben wir Vergeltungsmaßnahmen getroffen. Wir haben viel Zeit auf der Straße verbracht. Nachdem wir uns einen schlechten Ruf erworben hatten, wollte uns dann schließlich keiner mehr aufnehmen, und daher waren wir eine Zeit lang in einem staatlich geführten Heim. Auch das hat sich nicht allzu gut bewährt.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Keiner von uns beiden ist gut darin, sich an Vorschriften zu halten. Irgendwann sind wir Miss Judith begegnet.«
»Miss Judith?« Aus Jacks Stimme war enorme Zuneigung herauszuhören.
»Sie kam als Freiwillige in das Heim, und sie war der einzige Mensch, auf den Ken und ich gehört haben. Sie hatte etwas an sich, etwas ganz Bestimmtes, was sie von allen anderen unterschied, und alles an ihr war echt. Sie wollte wirklich helfen – ihr war das nicht egal, sie hat sich
etwas aus uns gemacht. Schließlich hat sie uns dann in Pflege genommen. Wir waren damals schon fast siebzehn und doppelt so groß wie sie, aber sie hat uns gegen den Rat aller anderen, die dort gearbeitet haben, bei sich aufgenommen. Sie hatte eine Ranch oben in den Hügeln, und sie hat uns eine lange Leine und viel Auslauf gelassen. Dafür haben wir uns bei unseren Schularbeiten hervorragend gemacht.« Er grinste sie an. »Dir ist sicher aufgefallen, dass ich mit keinem Wort eine Schule erwähnt habe. Sie hat unsere Ausbildung selbst in die Hand genommen und uns zu Hause unterrichtet, weil keine reguläre Schule etwas mit uns zu tun haben wollte. Wir haben hart für sie gearbeitet, und sie hat uns einen ersten Vorgeschmack auf ein echtes Zuhause gegeben.«
»Ist sie noch am Leben?«
Jack zögerte. »Ja. Aber wir achten darauf, dass das niemand erfährt. Sie könnte sonst …«
Briony hob den Kopf und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »… eine Belastung für euch werden?«
Jack stöhnte. »Diese Scharte werde ich nie wieder auswetzen können, stimmt’s? Aber darum geht es nicht, nein, Miss Judith braucht Schutz, damit keiner, der es auf uns abgesehen hat, unsere Gefühle für sie gegen uns verwenden kann. Ich will nicht, dass sie angreifbar ist.«
»Habt ihr ihren Tod vorgetäuscht?«, fragte Briony neugierig.
»Das lässt sich zu leicht widerlegen. Nein, wir haben schlicht und einfach einen sehr hitzigen öffentlichen Streit mit ihr inszeniert, und sie hat uns enterbt. Ein paar Monate später ist sie in einen anderen Staat gezogen, und ein Jahr später ist sie dann in ihren Heimatort zurückgekehrt, auf die Ranch ihrer Familie. Wir lassen uns nie in der Nähe des
Ortes blicken, und sie kommt schon gar nicht hierher. Wir rufen sie nie an, und daher gibt es nie Aufzeichnungen, die jemanden zu ihr führen könnten.
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