Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
angenommen, als ich voraussehen konnte. Asami macht daraus einen Kampf zwischen Richtig und Falsch. Falls wir verlieren, wird er darauf bestehen, dich zu unterwerfen. Dafür wird er bis ans bittere Ende gehen. Tod oder Unterwerfung, das sind seine Spielregeln.« Shirins Stimme hatte einen bitteren Klang angenommen.
»Und damit kommst du mir erst jetzt?«
Shirin hob ratlos die Hände. »Was hast du erwartet? Dass Asami es bei einer Abmahnung belässt? Asami ist als Samurai aufgewachsen, und sein Herr ist die Sphäre. Sie will er verteidigen. Von einem wie ihm kannst du keine Kompromisse erwarten. Die öffentliche Auseinandersetzung mit ihm ist deine einzige Chance, dir deine Freiheit zu erkämpfen.«
»Das ist ja zum Verrücktwerden. Wozu hast du mich da nur angestiftet?« Ehe ich mich versah, hatte ich Shirins abwehrende Hände beiseitegeschoben und sie verärgert an den Schultern gepackt. Ich konnte mich gerade noch beherrschen, sonst hätte ich sie vor Zorn durchgeschüttelt.
Zu meiner Verwunderung unternahm Shirin nicht einmal den Versuch, mich abzuwehren. »Es tut mir leid, dass du dich in die Ecke gedrängt fühlst. Aber welche andere Möglichkeit wäre dir denn geblieben als eine Flucht nach vorn? Glaub mir, du hast mehr Kraft, als du ahnst. Ansonsten hätte ich den Konflikt mit Asami nicht zugelassen.«
Mit einer bewusst langsamen Bewegung, die mich mehr Kraft als jeder Schlag kostete, ließ ich Shirins Schultern los und trat ein paar Schritte zurück. Dann schlug ich mir die Hände vors Gesicht, atmete tief ein und aus und bemühte mich, an etwas anderes zu denken, damit mein Puls sich wieder beruhigte. »Du hast recht. Auch wenn meine Chancen, mich bei der Versammlung durchzusetzen, ziemlich ungünstig stehen.«
Shirin, die trotz ihrer dunklen Haut blass aussah, schüttelte den Kopf. »Samuel, du solltest dich nicht unterschätzen. Ich setze auf dich. Du bist das Geschenk, um das ich so lange Zeit gebeten habe.«
»Na, dann ergibt ja jetzt wenigstens mein altmodischer Name endlich einmal einen Sinn - Samuel, das von Gott gegebene Kind«, erwiderte ich trocken und stieß mich vom sandigen Waldboden ab, um mir eine Schneise durchs Geäst zu suchen. Die Dämmerung war angebrochen.
30
Der unerwünschte Gast
Mila
»Ich will noch mal!«
Drohend hob ich den Zeigefinger, durchaus bereit, sofort zum Schlag auszuholen, falls es nötig sein sollte.
»Ach, bitte. Was macht so eine kleine Berührung denn schon aus?«
Meinetwegen konnte Ranuken flehen, betteln und fordern, bis er schwarz wurde. Auf keinen Fall würde ich ihm noch einmal zu nah kommen. Dafür stand mir seine Reaktion, als wir in der Sphäre angekommen waren, zu lebhaft vor Augen, besser gesagt, ich fühlte seine Hände immer noch auf meiner Haut. Von einer Sekunde zur anderen war aus der lockeren Umarmung etwas geworden, das man nur als Belästigung bezeichnen konnte. Mir war schon klar, dass Ranuken nicht wirklich begriff, wie unangenehm es mir war, wenn er sich an mir rieb und dabei verzückt die Augen verdrehte, weil sich meine Berührung in der Sphäre so gut anfühlte. Ich verspürte allerdings kein Verlangen, ihn darüber aufzuklären.
»Komm schon, Mila. Das ist doch albern. Wenn ich dich nicht anfassen darf, müssen wir die gesamte Strecke zur Ruine laufen. Das dauert doch viel zu lange.«
Nun versuchte er es also mit Vernunft. Ich schnaufte abfällig und beschleunigte meine Schritte in die Richtung, in der ich die Steilklippe vermutete. Den Marsch würde ich gern auf mich nehmen, wenn ich dafür nicht noch einmal Ranukens Finger einzeln von meiner Haut zerren musste. Diese Berührungskiste war eine Frechheit und ich fragte mich ernsthaft, wie es Sam eigentlich gelang, in meiner Nähe verhältnismäßig locker zu bleiben. Noch eine Frage, die ich im Hinterkopf behalten musste.
»Mila …«
»Kein Wort mehr!«, zischte ich.
Ranuken hielt inne, setzte ein beleidigtes Gesicht auf und ging mit vor der Brust verschränkten Armen und einem Schritt Abstand hinter mir her.
Der Weg, den ich eingeschlagen hatte, führte bergab in einen Wald, der so undurchdringlich war, dass ich schon bald die Orientierung verlor. Es war ein riesiger, endloser Wald, der nicht sonderlich freundlich wirkte und in dem ich mir vorkam, als wäre ich keine Wanderin, sondern Futter für etwas, das im Unterholz lauerte. Nein, die Sphäre war in ihrer Rohheit alles andere als menschenfreundlich. Hier sollte man sich einfach nicht auf zwei Beinen herumtreiben. Zu
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