Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
zu spüren, als eine kalte Stimme die Luft durchschnitt.
»Samuel«, erklang plötzlich eine heisere Stimme »Wenn dir so viel an diesem Mädchen liegt, hättest du in die Menschenwelt wechseln sollen, solange du noch die Zeit dafür hattest. Jetzt ist es zu spät. Ich werde sie töten. Nicht nur, weil sie ein Mensch ist, sondern auch für das, was sie uns eben angetan hat.«
Als wäre ein Blitz zwischen uns gefahren, sprangen Sam und ich auseinander. Hinter der Klippe stieg Asami auf wie ein unheilvoller Engel. Gleich auslaufenden Tuscheschlieren breitete sich seine Aura aus und seine schwarzen Augen erzählten von einer Wut, die nichts mehr mit auflodernden Gefühlen und Temperamentsausbrüchen zu tun hatte. Vielmehr verlieh sie ihm eine berechnende Stärke, die ihn zu einem beängstigenden Gegner machte.
Ich hatte nicht einmal annähernd begriffen, was gerade geschah, da hatte Sam sich auch schon vor mich gestellt und schirmte mich mit seinen Schwingen ab. »Mila, kaure dich auf dem Boden zusammen und rühr dich nicht von der Stelle.« Seine Stimme klang so ernst und beherrscht, dass ich erschrak. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich spürte einen Luftzug, dann war er auch schon fort. Angstvoll richtete ich den Blick auf den sternenklaren Himmel.
Mit einem Wutschrei stürzte sich Sam auf Asami und der Aufprall schleuderte sie beide so weit aufs Meer hinaus, dass ich schon befürchtete, sie aus den Augen zu verlieren. Obwohl mir auf die Entfernung die einzelnen Bewegungsabläufe entgingen, erkannte ich, wie versessen sie einander umkreisten und dass sie keine Chance ungenutzt ließen, einander zu attackieren. Asami wusste, wie man einen Kampf in der Luft zum eigenen Vorteil führt. Trotzdem gelang es Sam, sich ihm zu widersetzen, auch wenn er stets aufs Neue ausbrechen musste, um nicht doch von seinem Gegner überwältigt zu werden. Trotzdem hatte er bereits einige Treffer hinnehmen müssen und seine Gegenwehr ermüdete viel zu schnell, während Asami ihm unbarmherzig zusetzte. Was mich jedoch mehr schockierte, war die Tatsache, dass Asamis schwarze Aura sich mit jedem Punktsieg weiter ausbreitete, bis Sams helles Strahlen nicht mehr als nur ein Glimmen war. Trotzdem gab Sam nicht auf und riss Asami, dessen schwarze Augen mich unentwegt auf der Steilklippe suchten, ein ums andere Mal zurück.
Erneut hatten sich die beiden ineinander verkrallt und die Schwingen eingezogen, um den Gegner besser attackieren zu können. Dieses Mal sackten sie mit einer solchen Geschwindigkeit hinab, dass ich schon fest damit rechnete, sie gleich ins Meer stürzen zu sehen. Doch im letzten Moment strampelte Asami sich frei und schraubte sich schräg in die Luft, dicht gefolgt von Sam, der etwas länger gebraucht hatte, um sich zu fangen, und diesen Abstand jetzt verzweifelt wieder wettzumachen versuchte.
Ich hockte auf der Steilkippe, grub meine Finger vor Anspannung in den kargen Boden und begriff kaum, dass Asami im Flug auf mich zuhielt, den Blick fest auf mich gerichtet, die Arme weit ausgestreckt, in der Absicht, mich zu schlagen, wie ein Adler seine Beute schlägt. Ich konnte die Zornesfalte zwischen seinen Brauen erkennen, die dunklen Schlieren, die eine Wunde hinterlassen hatten, und seine vor Anstrengung zusammengepressten Lippen. Schon spürte ich den Windzug, der ihm vorausging, auf meinen Wangen. Er war nur noch einen Hauch von mir entfernt. Da hatte Sam ihn einholt und riss ihn mit sich in die Höhe.
Asamis Wutschrei gellte mir in den Ohren. In diesem Moment begriff ich, dass es nicht viel gebraucht hätte, und ich wäre jetzt tot. Wenn diese Schattenschwinge nur eine Sekunde schneller gewesen wäre, läge ich jetzt mit gebrochnem Genick auf der Steilklippe.
Auch auf Sams Gesicht spiegelte sich Begreifen, wie knapp dieser Kampf um Leben und Tod ausgegangen war, während er einen um sich schlagenden Asami hoch in den Nachthimmel zerrte. Entsetzen paarte sich mit Zorn und einer Entschlossenheit, die ich zuvor so noch nie bei Sam gesehen hatte. Von einer Sekunde zur anderen strahlte er so gleißendhell auf, dass ich meine Augen mit der Hand abschirmen musste. Ich sah nur Licht, kühles Sternenlicht. Dann durchschnitt ein Schmerzensschrei die Luft. Als ich wieder etwas erkennen konnte, hielt Sam einen leblosen Asami fest und schlang sich dessen schwarzes Haar wie einen Schleier um den Unterarm. Die Schattenschwinge ließ alles widerstandslos geschehen. Dann begriff ich: Asamis Schwingen waren gebrochen, nutzlos
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