Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Seitdem sich einer von uns nicht an das Hinsetz-Gebot auf der Toilette gehalten hatte, schloss Frau Levander die Tür vor unseren Besuchen ab. Sie war eine wirklich nette und lockere Frau, aber in dieser Hinsicht verstand sie keinen Spaß. Wir könnten auf der Toilette im Bootshaus zusammen mit den anderen Kerlen anstellen, was wir wollten, aber nicht auf ihrem Boot, hatte sie gesagt. Dabei hatte sie allerdings nicht bedacht, dass man sich auf einem Boot auch anders erleichtern konnte. Besser, sie erfuhr es gar nicht erst.
Die Arme leicht zur Seite ausgestreckt, kam Luca auf uns zu. Er war nicht gerade ein Seebär und sein Gleichgewichtssinn überdies keineswegs der Beste, seit er sein Ohr bei einem Manowar -Konzert an die Box gelegt hatte. »Sollen wir mal langsam durchstarten? Chris hat zwar noch einen Baller-Film dabei, aber ich bekomme langsam Hirnerweichung von dem Blödsinn.«
»Ja, klar. Lass uns aufbrechen. Ich sag dem Chips-König Bescheid und mache die Kabine dicht.« Immer noch grinsend rempelte mich Rufus auf dem Weg unter Deck an. Ich musste einen Schritt zurücksetzen, so hart hatte mich seine Schulter erwischt. Das nennt man wohl seinen Standpunkt klarmachen.
Luca visierte die schmale Bootsplanke an, die an Land führte. »Das Ding schaukelt«, erklärte er niemandem Speziellem. Nachdenklich rieb er sich seinen immer gleich langen Dreitagebart. Es hätte mich wirklich mal interessiert, wie viel Zeit er täglich investierte, um so lässig runtergekommen auszusehen. »Hör mal: Bevor Rufus auf dich sauer wird, musst du ihm schon ordentlich auf die Füße treten. Und eben war er sauer. Hast du ihn wieder wegen dieser Rucksacktour abblitzen lassen?« Da ich nicht lügen wollte, aber noch weniger Lust hatte, jetzt über Mila zu reden, zuckte ich bloß mit den Achseln, was Luca prompt für ein Ja nahm. »Du weißt schon, wie wichtig es ihm ist, dass du mit von der Partie bist? Wer weiß, was sich nach diesem Sommer alles ändern wird.«
Ich blickte Luca ertappt an. Er hatte recht: Dieser Sommer war ein Scheidepunkt, er würde definitiv etwas verändern. Das spürte ich mit jeder Faser meines Körpers. Nur pflegten die Veränderungen, die mich betrafen, anders auszufallen wie bei meinen Freunden. Die würden sich mit Uni- und Ausbildungsplätzen, WG-Zimmern und weinenden Müttern herumplagen müssen. Bei mir sah es ganz danach aus, als würden die Veränderungen tiefer gehen. So tief, dass ich es mir nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte. Ich brauchte nur die Augen zu schließen, dann spürte ich ein Zerren an mir, das stärker war als jeder Wind. Bald würde es mich mitreißen.
Als die Jungs am Kai in Richtung Parkplatz abbiegen wollten, verabschiedete ich mich.
»Du willst dich doch wohl nicht etwa absetzen?« Chris blinzelte mich ungläubig an. »Das wird bestimmt eine Superparty bei Mimi. Ihre Eltern sind das ganze Wochenende über weg und in dem Haus gibt es angeblich eine Sauna. Mensch, denk mal über die Möglichkeiten nach!« Chris gelang es, mit einigen Gesten sehr eindrucksvoll vorzuführen, was ihm beim Stichwort Sauna so alles einfiel.
Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Wenn ich mir bis eben noch nicht sicher war, ob ich die Party auslassen kann, jetzt bin ich’s.«
»Gehst du hoch zur Steilklippe?«, fragte Rufus mich. »Ich könnte mitkommen. Sauna ist nicht so mein Ding, vor allem nicht, wenn Chris quasi schon drinsitzt.«
Einen Moment lang dachte ich über das Angebot nach, dann schüttelte ich den Kopf. Mit Rufus auf der Steilklippe zu sitzen und einfach nur aufs Wasser zu schauen, war eine der besten Sachen überhaupt. Aber mein Freund stand nun einmal auf Party und ich war heute Abend alles andere als eine angenehme Gesellschaft. »Ich geh noch ein wenig zum Strand runter und dann nach Hause. Morgen habe ich Frühschicht an der Tankstelle und Samstagvormittag ist da immer die Hölle los.«
Rufus ließ lediglich ein Brummen hören, während sein Blick zur Hafenkneipe rüberwanderte, wo immer noch Licht brannte. Ich konnte die Sorge von seinem Gesicht ablesen. Wenn ich ihm noch ein, zwei Sekunden Zeit gab, würde er sich mir anschließen - ob ich wollte oder nicht. Also sagte ich schnell, um ihn abzulenken: »Wir sehen uns dann also am Sonntag zum Mittagessen. Da freue ich mich jetzt schon so richtig drauf, vor allem auf Mila.« Auch wenn es kindisch war, diesen Seitenhieb konnte ich mir nicht verkneifen. Zu sehr gingen mir seine Eifersüchteleien gegen den
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