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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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gewartet hatte, dass ich endlich ausstieg, hatte er mich mit einem Blick bedacht, der sofort Schuldgefühle in mir wachgerufen hatte. Als hätte ich ihn verraten.
    »Es tut mir leid, dass …« Weiter wusste ich nicht. Was hätte ich auch sagen können? Tut mir leid, dass dein bester Freund mir den Kopf verdreht hat? Dass ich mich nicht länger damit begnügen kann, Sam aus der Ferne anzubeten? Tut mir leid, dass er sich für mich interessiert? Das wäre alles gelogen gewesen. Aber ich wollte nicht, dass mein großer Bruder mich so ablehnend ansah.
    »Vergiss es«, hatte Rufus gesagt und war drohend aufs Gas getreten, sodass ich notgedrungen die Beifahrertür zuzuschlagen hatte. Er war davongefahren, ohne auch nur einmal in den Rückspiegel zu blicken.
    Zu meinem Glück war meine Mutter den Nachmittag über unterwegs, sodass ich mich aufs Bett fallen lassen konnte, ohne in Erklärungsnot zu geraten. Von dort bewegte ich mich nur weg, um Pingpong reinzulassen, nachdem sie sich vor meiner Zimmertür halb zu Tode gemaunzt hatte. Einmal rief Lena an und entschuldigte sich tausendfach für die Ammoniak-Attacke. Sie fuhr gerade mit ihren Eltern zu Bekannten, mit denen sie das lange Wochenende verbringen wollten. Doch meine einsilbigen Kommentare waren wohl nicht ganz die Unterhaltung, nach der sie sich sehnte. Und so verabschiedeten wir uns schon nach kurzer Zeit wieder, ohne dass ich ihr etwas von dem Vorfall am Nachmittag erzählt hatte.
    Am frühen Abend hörte ich die Eingangstür zuschlagen, gefolgt von lauten Schritten. Mein Vater stürmte wie immer energiegeladen durchs Haus. Es dauerte nicht lange, da klopfte er an meine Tür. Hastig zog ich mir eine Strickjacke über, um die rötlichen Flecken, die die Abdrücke von Sams Händen auf meinem Oberarm hinterlassen hatten, zu verdecken. Immer wieder hatte ich die Flecken angeschaut, die eher wie Verbrennungen aussahen als wie Druckstellen - auch so eine Sache, aus der ich einfach nicht schlau wurde. Wenn mein Vater sie sah, würde er bestimmt denken, dass mich jemand zu fest angepackt hätte.
    »Na, Engelchen. Wie geht es dir?« Mein Vater gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Haarscheitel, wie er es seit jeher tat, dann schnappte er sich meinen Zeichenblock und blätterte darin. »Lauter Krickelkrackel, war wohl ein anstrengender Tag.«
    Kurz überlegte ich, ob ich ihm von meinem Schwächeanfall erzählen sollte, entschied mich aber dagegen. Mein Instinkt verriet mir, dass Rufus nichts sagen würde, warum sollte ich es also tun? Damit hätte ich meine Eltern nur unnötig beunruhigt und riskiert, dass sie mir jede Menge Fragen stellten, und danach war mir nun gar nicht zumute. Also antwortete ich wahrheitsgemäß mit einem »Ja, echt anstrengend«.
    »Aber morgen kommst du doch mit zum Hafen?« Mein Vater wollte am Freitag schon in aller Herrgottsfrühe aufbrechen, weil er die Hoffnung hegte, rasch mit den Reparaturen an der Wilden Vaart zu Rande zu kommen, damit er noch aufs Wasser hinauskonnte. Der erste Mai war nicht gerade sein Lieblingsfeiertag.
    »Na klar. Es gibt keinen besseren Ort, um Lateinvokabeln zu lernen, als dein Segelschiff.« Außerdem würde er sich so nicht beschweren können, wenn ich später mit Sam verschwand, anstatt Zeit mit der Familie zu verbringen. Dann hatte ich mein Pensum ja quasi schon erfüllt.
    Mein Vater runzelte die Stirn. »Es ist unser Segelschiff und ich hätte nichts dagegen, wenn du mir bei den Reparaturen zur Hand gehen würdest.«
    Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu, dem er gekonnt auswich. Wir wussten beide nur allzu genau, dass ich seinen Ansprüchen, wenn es um diesen Kahn ging, auf keinen Fall genügen konnte. Er wollte mich gern dabeihaben, um mit mir in der Kaffeepause zu klönen oder um mir gelegentlich etwas Lustiges zuzurufen. Das war es dann aber auch schon.
    Kaum war mein Vater gegangen, um in der Garage das Werkzeug zusammenzusuchen, klingelte mein Handy. Ein unbekannter Anrufer - das konnte nur Sam sein. Mit einem Schlag war mein Mund wie ausgetrocknet. Ich ließ es noch zwei weitere Male klingeln, bevor ich abnahm. Trotzdem stockte mir leicht die Stimme, als ich mich meldete.
    »Hallo Mila, ich bin’s. Sam. Geht es dir wieder besser?«
    »Ja, alles bestens. Ich bin nur ein wenig schlapp. Wo bist du gerade?«
    »Noch auf der Arbeit, aber es ist gerade nichts los. Hör mal, ich muss dir etwas beichten: Ich habe mich mit deinem Bike langgemacht. Die Bremsen haben es echt in sich, damit hatte ich nicht

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