Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
werden. Das Bike folgte meiner Bewegung. Instinktiv wollte ich loslassen, doch dann wäre es unter die Räder des Wagens geraten. Also hielt ich es fest. So schlugen wir beide zu Boden, rutschten ein Stück weiter und kamen eine Armlänge vor dem Wagen, der eine Vollbremsung hingelegt hatte, zum Liegen.
Obwohl das Fahrrad auf meinem Bein eine halbe Tonne zu wiegen schien, blieb ich liegen. In meinem Ellbogen breitete sich ein dumpfer Schmerz aus, während Knie und Handballen wegen der Abschürfungen zu brennen begannen.
»Wolltest du Idiot dich umbringen?« Die Stimme eines Mannes überschlug sich fast vor Entsetzen.
Ich atmete tief ein und schob das Bike mit dem linken Arm umständlich von mir herunter, ohne dass mir ein Stöhnen über die Lippen kam. Das hätte den Mann nur wütender gemacht. Damit kannte ich mich aus. Als ich versuchte, auf die Beine zu kommen, griff er mir unter die Achsel und half mir auf.
»Was sollte das denn, Junge?«
Obwohl es mir schwerfiel, stellte ich mich aufrecht hin und beachtete meinen vor Schmerzen aufschreienden Körper nicht weiter. Trotzdem konnte ich es nicht verhindern, dass ich leicht schwankte, weshalb der Mann mich auch nicht losließ, was ich eigentlich hatte bezwecken wollen.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen einen solchen Schreck eingejagt habe. Ist denn alles okay bei Ihnen?«
Der vielleicht sechzig Jahre alte Mann, dem eine Baseballkappe schief auf dem Kopf saß, blickte mich groß an. »Ob bei mir alles okay ist? Bin ich etwa eben mit halsbrecherischem Tempo den Hügel runtergejagt und habe dann eine Vollbremsung mit meinem Ellbogen hingelegt? Ich fahr dich jetzt wohl besser ins Krankenhaus.«
»Nicht nötig, das sind nur ein paar Abschürfungen.« Ich trat einen Schritt zurück und wollte mich nach dem Fahrrad bücken, da wurde mir schwarz vor den Augen. Bevor ich mich versah, saß ich auf der Straße.
»Von wegen nicht nötig. Mit dem Arm stimmt doch was nicht«, grummelte der alte Mann und hob Milas Mountainbike auf, das allem Anschein nach nur ein paar Kratzer abbekommen hatte. Gott sei Dank. Der Wagen, dessen Warnblinkanlage mit einer nervtötenden Regelmäßigkeit aufleuchtete, das Fahrrad, der alte Mann und ich befanden uns mitten auf der Straße. Andere vorbeifahrende Fahrer reduzierten ihr Tempo und starrten uns unverhohlen an.
Da ich es von allein nicht auf die Beine schaffte, griff ich nach der offen stehenden Fahrertür und zog mich daran hoch. Meine Jeans war am Knie aufgerissen und bereits blutbesudelt, mein Hemd sah am Ellbogen nicht besser aus, aber den zerschlissenen Ärmel würde ich einfach hochkrempeln. Außerdem hatte Herr Jahnson einen ordentlichen Verbandskasten auf der Tankstelle, sodass ich was gegen die Blutung tun konnte. In meinem Handballen klafften nämlich mehrere tiefe Kerben. Trotzdem hatte ich Glück im Unglück gehabt. Nur das Bike würde ich am Ende meiner Schicht vermutlich nach Hause schieben müssen, ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Knochen eine weitere Fahrradfahrt mitmachten. Außerdem drohte mein Ellbogen von einer Schwellung außer Betrieb gesetzt zu werden. Zumindest hoffte ich, dass es lediglich eine Schwellung und kein Bruch war. Und wofür die ganze Aufregung? Um dieser verfluchten Sehnsucht nachzugeben, die ich einfach nicht abschütteln konnte. Wenn mich Daniel Levander morgen in diesem Zustand zu sehen bekam, würde ich eine gute Ausrede auftischen müssen, damit er mich mit seiner Tochter losziehen ließ. Ich war so ein Idiot.
»Nun steig schon ins Auto, oder brauchst du dabei Hilfe?« Der alte Mann hatte das Fahrrad auf den Gehweg gebracht und wollte mich nun auf den Rücksitz seines Kombis befördern. Dank meiner gut trainierten Instinkte wich ich ihm aus. »Hör zu, Junge. Das muss sich ein Arzt ansehen. Du kannst doch kaum gerade stehen.«
Da war ich allerdings anderer Meinung. »Sehen Sie die Tankstelle am Ende der Straße? Dort arbeite ich. Ich werde jetzt das Fahrrad dahin schieben und meinen Chef bitten, dass er jemanden als Ersatz anruft und mich dann ins Krankenhaus bringt. So hat alles seine Ordnung, einverstanden?«
Der alte Herr blickte nicht gerade überzeugt drein und kratzte sich unter seiner Kappe. »Ich kann dich ja rüberfahren.«
»Das ist wirklich nicht nötig«, sagte ich so eindringlich, wie ich es hinbekam. Das Stehen fiel mir schwer, ich musste mich endlich bewegen. Außerdem stieg mit jedem weiteren Wort die Wahrscheinlichkeit, dass dem Mann meine Lügen
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