Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
jederzeit gern, aber heute nicht.
»Okay, ich verstehe ja, dass es nicht leicht für Dad ist. Aber er ist ein Erwachsener, da kann ich doch erwarten, dass er seine Launen unter Kontrolle hat und mir nicht unnötig zusetzt.« Nun klang ich zorniger als beabsichtigt. Schließlich konnte Reza auch nichts dafür, dass Daniel mit seiner Grummelei meiner aufkeimenden Liebesbeziehung einen Dämpfer verpasste. »Ich möchte doch nur, dass er sich wenigstens ein bisschen für mich freut - so wie du. Das ist mir wichtig.«
Meine Mutter legte die Serviette beiseite und schloss mich in die Arme. »Ich mag zwar wie ein alter Hippie klingen, aber du wirst akzeptieren müssen, dass deine Eltern nicht perfekt sind. Wo Licht ist, da ist auch Schatten.«
Bei ihren Worten tat sich in mir etwas auf, als wolle es nach ihren Worten schnappen. Licht und Schatten. Diese erdrückende Vision stand für den Bruchteil einer Sekunde so lebhaft vor mir, dass ich regelrecht erstarrte. Dann zuckte meine Mutter zusammen und stieß einen ziemlich derben Fluch aus, ehe sie zum Herd stürmte. Der scharfe Geruch von Verbranntem breitete sich im Wohnraum aus.
»Ich bin nicht einmal imstande, Essen ordentlich aufzuwärmen«, schimpfte Reza und schleppte den qualmenden Topf ins Freie. »Sei ein Engel und schieb Pizza in den Ofen. Ach ja, und tausch die Teller aus. Muss ja keiner wissen, dass es eigentlich Eintopf geben sollte.«
10
Liebesblind
Am Abend lag ich noch lange wach, den Kopf voll mit Sam und unserer Verabredung. Als es mir schließlich gelang einzudämmern, stiegen unvermittelt Erinnerungsfetzen auf. Die Symbole auf Sams Haut, die sich zu einer schwarzen Mauer verdichteten, die mich von ihm trennte. Schwarz und Weiß, einander verdrängend, verschlingend. Eine graue Hand, deren Griff ich mich allen Anstrengungen zum Trotz nicht entwinden konnte. Ich wälzte mich herum, bis mein Körper zu schmerzen anfing. Irgendwann schlief ich dann wohl doch ein, denn der Freitagmorgen kam früher als erwartet. Pingpong hockte auf meiner Brust und schnurrte, als ginge es um ihr Leben. Durch die Ritzen der Vorhänge drangen bereits erste Sonnenstrahlen. Ich ließ mich samt Katze auf die Seite gleiten und versenkte mein Gesicht in Pingpongs orangefarbenem Pelz. Als Belohnung wurde noch lauter geschnurrt. Wie konnte man einem solchen Weckdienst böse sein?
Im Badezimmer hörte ich das Duschwasser prasseln, Rufus war also ebenfalls ungewöhnlich früh wach. Eine heiße Dusche konnte ich auch vertragen, mir tat nämlich dank der unruhigen Nacht der Nacken weh. Mühsam quälte ich mich aus dem Bett, Pingpong in meine Armbeuge geklemmt, und stellte mich vor den Kleiderschrank. Meine Finger wanderten über Shorts, T-Shirts und meinen Lieblingskapuzenpulli, den man gut überziehen konnte, wenn vom Meer her ein kühler Wind wehte. In diesem Jahr hatte der Frühling zwar ungewöhnlich früh Einzug gehalten, aber sommerlich warm war es an der Küste deshalb noch lange nicht.
Bequeme Klamotten waren genau das Richtige, wenn man den Feiertag auf einem Segelboot verbrachte. Aber eher nicht das Richtige für ein Stranddate mit einem Jungen … Ich spielte mit dem Gedanken, Lena auf ihrem Handy anzurufen und sie um Rat zu bitten. Ein Blick auf die Uhr verriet mir jedoch, dass sie die längste Zeit meine Freundin gewesen wäre, wenn ich sie um diese Uhrzeit aus dem Bett klingelte.
Mein Blick fiel auf das Top mit einem für meine Verhältnisse tiefen Ausschnitt, das ich mir gerade erst gekauft hatte. Es würde perfekt zu dem Rock meiner Mutter passen, den sie immer trug, wenn sie mit meinem Vater eines der Promenadenrestaurants besuchte. Durchaus verführerisch mit seinem schwingenden Stoff, aber eher schick. Reza würde sicherlich nichts dagegen haben, wenn ich ihn mir auslieh. Oder war es übertrieben, sich heute anders als in der Schule anzuziehen? Da fiel mir Sams Blick wieder ein, als er mich am Sonntag in diesem Blümchenkleid gesehen hatte, und der Entschluss war gefasst: Ich würde Top und Rock in eine Tasche packen und mitnehmen. Falls mich der Mut bis zum Nachmittag verlassen haben sollte, konnte ich Sam einfach in meinen alten Segelklamotten treffen.
In der Dusche lief immer noch das Wasser und langsam verlor ich die Geduld. Ich klopfte an die Tür.
»Hey Rufus, wie lange soll das denn noch dauern? Bist du unter dem Wasserstrahl eingeschlafen?«
Als Antwort bekam ich nur ein geknurrtes »Hau ab!« zu hören.
Wütend öffnete ich die Tür - dank meiner
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