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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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überhäufte. In diesem Moment wollte ich sie nur halten, bis der schmerzliche Gedanke an die Vergangenheit nachließ. Zwischen den Bäumen sah ich in der Ferne das Meer, wie es unablässig auf die Küste zuströmte und stellte mir vor, wie es wäre, jetzt mit meinen nackten Füßen drinzustehen. Zu spüren, wie es mir entgegeneilte, sich zwischen meine Zehen grub, versuchte, mir den Sand unter den Fersen wegzuspülen. Allmählich beruhigte ich mich wieder. Letztendlich war es mir relativ leichtgefallen, den Verlust meiner Finger zu verwinden. Wäre es meinem Vater stattdessen gelungen, sein Werk auf meiner Haut zu vollenden, dann wäre ich wohl nicht darüber hinweggekommen.
    »Als mein Vater so unvermittelt vor mir auf der Steilklippe auftauchte, war mir sofort klar, dass ich ihm dieses Mal nicht würde entkommen können. In diesem Moment wurde in mir drinnen ein Schalter umgelegt. Der mir bislang unbekannte Teil trat mit einem Schlag hervor. Meine verletzten Finger schienen mir auf einmal nur ein fernes Echo von dem zu sein, was wirklich geschah. Unter meiner Haut breitete sich nämlich innerhalb von Sekunden ein Brennen aus, als habe jemand mit Säure ein Bild auf meinen Rücken gemalt. Das allerdings von innen … und nun fraß es sich nach außen durch. Ich sah das Meer in der Tiefe unter dem Klippenbruch und wollte mich einfach nur noch fallen lassen, in der Hoffnung, dass das Wasser diesem irrsinnigen Brennen ein Ende bereiten würde. Dabei bekam ich gerade noch so mit, wie mein Vater zum nächsten Angriff ansetzte. Doch bevor ich springen konnte, packte Rufus mich und ich stieß ihn weg. Denn in diesem Moment, während ich über den Rand stürzte, brachen die Schwingen hervor.
    Ich bin mir nicht sicher, was Rufus sah, als ich stürzte. Aber in der Sekunde, als ich durch den Wasserspiegel schlug, griff ich nach seinem Geist, um ihn zu schützen. Ich tat es rein instinktiv, ich hatte keine Ahnung, was ich damit anrichten würde. Denn ganz gleich, ob er die Schwingen noch zu sehen bekommen hatte oder nicht, ich konnte seine Panik spüren, als würde er mir seine Empfindungen ins Gesicht schreien.«
    Mila sah gequält zu Boden. »Rufus leidet sehr unter dieser Gedächtnislücke.«
    »Das tut mir leid, aber vielleicht würde er noch mehr leiden, wenn er sich erinnern könnte. Vor allem, wenn monatelang niemand dagewesen wäre, der ihm das Gesehene erklärt.«
    »Könntest du das Gleiche mit meinem Gedächtnis tun?« Zu meiner Erleichterung lag nur eine Spur von Argwohn in Milas Frage.
    »Das weiß ich nicht. Eventuell mit ein paar Details, aber um unser Beisammensein heute abdecken zu können, müsste ich wohl mehr darüber wissen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. Es geschah, wie gesagt, rein instinktiv.« Ich hielt inne und spürte dem Moment nach, als ich das Meer berührt hatte und doch wieder nicht. Als die Symbole, die mein Vater mir in die Haut geschnitten hatte, ihre Wirkung entfaltet hatten. Hastig verdrängte ich diese Erinnerung, den heikelsten Teil meiner Geschichte. »Als ich in Rufus’ Erinnerung eingriff, passierten so viele Dinge, die ich nicht begriff und nicht steuern konnte. Du hast erlebt, wie es ist, durch den Wasserspiegel zu treten und sich in der Luft zu befinden. Plötzlich in einer anderen Welt zu sein.«
    »In der ›Sphäre‹.« Bei diesem Wort regte sich Mila auf meinem Schoß und obwohl es mir widerstrebte, gab ich sie soweit aus der Umarmung frei, dass sie mir geradewegs in die Augen sehen konnte. »Dieser Ort reißt und zerrt an mir, als wolle er mich wieder hinausdrängen. Als wäre das hier bloß ein Traum und ich könnte jeden Moment die Grenze zum Wachwerden überschreiten. Träume ich dich nur, Sam?«
    Meine Brauen fuhren zusammen. So war ich mir ein Leben lang in der Menschenwelt vorgekommen, wie ein Fremdkörper. Zwar nicht gerade wie ein Stachel im Fleisch, aber trotzdem nicht wirklich willkommen. Ich wollte nicht, dass es Mila hier so ging. Ich wollte, dass die Sphäre ein Ort war, an dem sie sich heimisch fühlte, damit sie bei mir sein konnte. »Falls du noch nicht genug für heute hast, würde ich dir gern erzählen, wie ich die Sphäre zum ersten Mal erkundet habe. Damit es dir leichterfällt nachzuvollziehen, warum sie ein großartiger Ort ist, selbst wenn sie dir erst einmal befremdlich vorkommt. Vielleicht kommst du dir nicht mehr ganz so fehl am Platz vor, wenn du sie besser verstehst.«
    Mila zögerte kurz, dann legte sie ihre Hand auf meine Wange und

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