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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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waren? Milas Beschreibung mit dem Energiefeld traf es recht gut: Sie wirkten fast durchscheinend, trotzdem war es unmöglich, durch sie hindurchzufassen. Vom Äußeren her ähnelten sie dunkelgrauen Tuscheschlieren, die in den Enden zerfaserten wie Nebelfetzen. Sie waren mehr Schatten als Schwinge. Schattenschwingen.
    »Sie sehen aus wie zwei Aquarelle«, dachte Mila laut nach. »Ich habe bei ihrem Anblick sogleich begriffen, dass es Schwingen sind, denn an manchen Stellen sehen sie tatsächlich auch aus wie Federn. Aber sie sind ganz verlaufen und die Konturen der Schwingen scheinen sich an den Enden aufzulösen.« Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Wenn es Tag ist, sind sie dann weiß?«
    Ich musste lachen. »Weiße Engelsflügel? Nein, tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Bei Tag nehmen sie bestenfalls ein helles Grau an. Zumindest hier in der Sphäre.«
    Bei dem Wort »Sphäre« presste Mila die Lippen fest aufeinander, aber sie hakte nicht nach. Ich überlegte, ob es klug war, hier mit einer Erklärung einzusetzen. Doch ich entschied mich dagegen. Es war sicherlich besser, wenn Mila das Tempo bestimmte. Und im Augenblick war ihre ganze Aufmerksamkeit noch auf meine Schwingen gerichtet. Also einen Schritt nach dem nächsten, auch wenn es mich drängte, ihr alles zu sagen. Am liebsten auf einen Schlag. Noch lieber hätte ich es bereits hinter mir, und sie würde mir stattdessen erzählen, was in der Zwischenzeit in ihrem Leben passiert war.
    »Wenn du die Schwingen einziehst, dann verschwinden sie einfach?«, fragte Mila, nachdem sie eine Zeit lang nur still dagestanden hatte.
    »Nein, sie werden zu den Zeichnungen auf meinem Rücken, die du für Tattoos gehalten hast.«
    »Das möchte ich gerne sehen.«
    Ich zögerte, dann drehte ich mich um und zog meine Schwingen ein. Nichts leichter als das. Ich musste es nur wollen. Hinter mir hörte ich Mila scharf nach Luft schnappen. Ich wartete darauf, dass ihre Fingerspitzen über die Zeichnungen auf meinem Rücken fahren würden. Doch als nichts geschah, drehte ich mich mit einem unguten Gefühl im Magen wieder um.
    Mila stand stocksteif da, die Augen weit aufgerissen. Unschlüssig streckte ich den Arm nach ihr aus, und kaum dass ich sie berührte, begann sie am ganzen Leib zu zittern. Ehe ihre Beine nachgaben, hielt ich sie bereits in den Armen und ließ mich vorsichtig mit ihr auf den Boden nieder. Es erschreckte mich, wie eiskalt sie sich anfühlte, als habe der Schock ihr sämtliche Energien entzogen. Ich presste sie, so eng ich konnte, an mich, in der Hoffnung, meine Körperwärme möge für uns beide reichen. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, kehrte das Leben wieder in sie zurück. Als sie sich an mich schmiegte, lockerte ich den Griff vorsichtig, aber nicht zu sehr, denn der Schrecken saß mir weiterhin in den Knochen.
    »Sam, ist es wirklich richtig, dass du mich mitgenommen hast? Ist das hier ein Ort, an dem Menschen sein dürfen?«, fragte Mila so leise, dass ich sie kaum verstand.
    »Ja. Du gehörst zu mir, also kannst du auch hier sein. Da, wo ich bin.«
    Das beantwortete allerdings noch lange nicht die Frage, ob Milas Schwächeanfall bloß der Aufregung geschuldet war. Welchen Schaden konnte es bei jemandem anrichten, wenn er unvermittelt damit konfrontiert wird, dass die Realität, in der er lebt, nicht die einzige ist? An mir mochten die Veränderungen seit meinem Sturz schadlos vorbeigezogen sein, da ich die Leerstelle in mir zuvor überdeutlich gespürt hatte. In der Sphäre war sie endlich gefüllt worden. Trotzdem wusste ich bislang selbst so gut wie gar nichts über das, was ich war. Und noch weniger über die Sphäre. War ich in Wirklichkeit einfach ein Schwachkopf gewesen, als ich sie hierher gebracht hatte? Nur, was hätte ich anderes tun können? Mit dem Vorhaben, sie zu belügen, hätte ich ihr gar nicht erst unter die Augen treten müssen. Lügen waren etwas, das Mila über kurz oder lang nicht entging. Dafür war sie zu hellsichtig. Nein, die einzige Alternative wäre gewesen, gar nicht erst zu ihr zurückzukehren. Doch allein dieses Ansinnen war mir vollkommen unmöglich erschienen. Ich hatte es ihr versprochen, und selbst ohne das Versprechen wäre es mir niemals gelungen, mich von ihr fernzuhalten.
    »Habe ich einen Fehler gemacht?«, fragte ich, obwohl ich mich vor ihrer Antwort fürchtete.
    »Hmmm?«
    Erst jetzt bemerkte ich, dass Mila fast eingedöst war. Natürlich, sie war erschöpft und verwirrt.

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