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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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nickte. »Sam«, sagte sie leise. »Das will ich doch auch.«
    Mit Mühe konnte ich dem überbordenden Bedürfnis, mich Milas Berührung hinzugeben, widerstehen. Was war das nur, das ihrer Nähe eine solche Intensität verlieh? Als würde die Anziehungskraft, die Mila ansonsten auf mich ausübte, nicht schon ausreichen. Ich versuchte, meine Instinkte auszuschalten, und konzentrierte mich auf ein Ereignis, das schon einige Wochen zurücklag. So lange, bis mir die Erinnerung so lebendig vor Augen stand, dass sie die Gegenwart überlagerte. Das hier war vielleicht meine einzige Chance, Milas Blick auf die Sphäre in die richtige Richtung zu lenken. Die Sphäre mochte zwar nicht das Paradies sein, aber meiner Meinung nach war sie dicht dran - trotz ihrer dunklen Seiten.

18
    Im Weißen Licht
    Es war mir unmöglich zu sagen, ob die Zeit seit meinem Sprung von der Klippe dahinraste oder doch eher schlich. Mein geheilter Ellbogen und die sauber vernarbten Schnittstellen an meinen Fingern deuteten darauf hin, dass mehrere Wochen vergangen sein mussten, aber gefühlsmäßig kam es mir nicht länger als eine Handvoll Tage vor - bestenfalls. Die Erinnerung an den Sturz war grauenhaft, doch das, was mich danach erwartet hatte, war noch viel schlimmer gewesen. Das Willkommen, nachdem ich den Meeresspiegel durchschlagen hatte, hatte den brutalen Angriff meines Vaters wie eine Nebensächlichkeit erscheinen lassen: Eingesponnen in einen Kokon hatte ich dagelegen, in der Gewalt eines unbekannten, aber umso bedrohlicheren Schattens. Wie lange ich dort verharrt habe, weiß ich nicht - doch letztendlich habe ich mich daraus befreien können. Beides, der Angriff meines Vaters und meine Gefangenschaft, lagen nun hinter mir und ich weigerte mich, auch nur einen Gedanken an diese grauenvolle Zeit zu verschwenden. Stattdessen ließ ich mich treiben, überließ mich der Leere in mir und vermied jeden klaren Gedanken und jedes Gefühl. Zu meiner Erleichterung schlich sich die Erinnerung auch nicht in meinen Schlaf, der im Gegensatz zu früher nicht mehr als ein süßer Sog war. Meine Träume hatten jetzt nichts mehr mit mir zu tun, und dafür war ich ausgesprochen dankbar. Denn zu was auch immer ich geworden war, ich wollte es nicht so genau wissen. Außerdem hat ein Ich stets auch eine Vergangenheit, und meine ertrug ich im Moment nicht. Vielleicht nie wieder.
    Dafür gab ich mich voll und ganz dem Fliegen hin. Zwar hatte ich nie die leiseste Ahnung gehabt, dass sich Schwingen in meinem Körper verbargen, aber seit der Sekunde, in der ich sie zum ersten Mal geöffnet hatte, waren sie mir so vertraut wie meine Hände und Beine. Trotzdem fielen meine ersten Flugversuche eher ungelenk aus. Allein den richtigen Winkel zum Abheben zu finden, hatte einige Zeit in Anspruch genommen. Mittlerweile gelang es mir recht gut, die Windströmung so auszunutzen, sodass ich wie ein Papierdrache in gleichmäßigem Flug über den Himmel trieb, ohne mich groß anstrengen zu müssen. Aber anders als bei einem Drachen hielt da unten niemand die Schnüre in der Hand und bestimmte, was ich tat. Nein, hier oben in der Luft war ich frei. Nach all den Jahren, in denen ich an den Boden gekettet gewesen war, bekam ich nun schlicht nicht genug von dem Hochgefühl, das das Fliegen in mir hervorrief. Zu lange hatte ich eine unbestimmte Sehnsucht in mir getragen, von der ich nicht gewusst hatte, wie ich sie stillen sollte. Es war mehr als ein wahr gewordener Traum, denn es war meine Realität. Also tat ich nichts anderes, als die Zeit verstreichen zu lassen, indem ich durch die Luft glitt, und sie manchmal auch mit halsbrecherischem Tempo durchschnitt. Warum auch nicht? Ich verspürte weder Hunger noch Durst, nur das Bedürfnis nach Schlaf holte mich regelmäßig auf die Erde zu rück.
    Dabei hatte ich gegen die kurzen Verschnaufpausen auf dem Boden auch nichts weiter einzuwenden, denn wo immer ich landete, immer war es genau meins: unberührtes Land und endlose Wälder. So ursprünglich wie das Meer, das mir zwar vertraut, aber doch zugleich sehr viel rauer und ursprünglicher war als das vor der Küste von St. Martin. Nur an zwei Stellen hatte ich Zeugnisse von Bauten entdeckt, vollkommen verwitterte Ruinen, kaum noch auszumachen im verwilderten Grün. Nicht mehr als ein paar aufeinandergehäufte Steine, sodass man fast glauben konnte, der Zufall habe sie aufeinandergeschichtet. Für mich waren sie der endgültige Beweis gewesen, dass, falls hier jemals Menschen gelebt

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