Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
Martin gingen an. Mittlerweile mussten Reza und Daniel von ihrem Hollandtrip zurückgekehrt sein, das verriet allein schon die veränderte Ausstrahlung des Hauses: Es war wieder ein Zuhause und kein Unterschlupf für Besucher aus anderen Welten. Da blieb mir nur zu hoffen, dass Kastor und Shirin sich rechtzeitig abgesetzt hatten. Andererseits würde ich neben den beiden markanten Schattenschwingen und einer klitschnassen, restlos erschöpften Mila abseits der allgemeinen Aufmerksamkeit stehen, was diese Vorstellung ganz angenehm machte. Doch ich nahm nichts wahr, was auf die Anwesenheit von Kastor und Shirin hingewiesen hätte. Um mehr herauszufinden, hätte ich meine Aura benutzen müssen. Was ich auf keinen Fall vorhatte. Also musste ich mich mit dem zufriedengeben, was ich mit dem bloßen Auge erkannte.
Ich zwang meine Hände weg vom Zündschloss und umklammerte stattdessen das Lenkrad. Noch ein paar tiefe
Atemzüge, dann würde ich mir Mila schnappen und mit ihr reingehen. Den Wechsel durch die Meeresoberfläche hatte sie glücklicherweise verschlafen. Nach dem, was sie erlebt hatte, würde sie vermutlich nie wieder auch nur den großen Zeh ins Meer tauchen. Musste sie ja auch nicht. Mit dieser Sache war ich durch.
Augenblicklich wollte ein Teil von mir protestieren, aber ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
Kritisch musterte ich Milas Gesicht: Unter ihrem dunklen Wimpernkranz schimmerten violette Schatten und auf ihrer aufgebissenen Unterlippe hatte sich Schorf gebildet. Sie sah erschöpft aus, aber dafür, dass sie fast ertrunken wäre, überraschend frisch. Ich hatte sie in die Decken eingehüllt, die noch von unserem Ausflug ans Meer im Kofferraum gelegen hatten, sodass sie trotz der nassen Unterwäsche, die ich ihr angelassen hatte, einigermaßen warm war. Gott sei Dank war es allem Anschein nach die richtige Entscheidung gewesen, sie nicht ins Krankenhaus zu bringen.
Nun musste ich eine weitere Entscheidung treffen: Trug ich sie klammheimlich ins Haus und ließ sie schlafend auf dem Sofa zurück, oder benutzte ich die Eingangstür?
Ich streckte die Hand aus, um Milas fein pulsierende Schläfe zu streicheln, hielt aber im letzten Augenblick inne. Hatte ich überhaupt das Recht dazu, sie zu berühren? Nicht nur wegen der Auszeit, die sie sich erbeten hatte, sondern auch nach dem, was gerade in der Sphäre geschehen war? Meine Welt hatte sie erneut beinahe das Leben gekostet. Ich konnte mir also keineswegs sicher sein, dass es ihr für einen Neuanfang ausreichen würde, wenn ich meinem Schattenschwingen-Dasein abschwor.
Davon darf ich es nicht abhängig machen, beschloss ich. Ich muss von mir aus auf sie zugehen. Ob sie mir entgegenkommen möchte, das werde ich ihr überlassen.
Schnell stieg ich aus, ging um den Ford herum und hob Mila vorsichtig heraus. Als sie sich mit einem Seufzer an mich schmiegte, überkam mich eine seltsame Mischung aus Glück und Panik. Alles, was ich liebte, das, was mir von meinem für einen kurzen Augenblick perfekt erscheinenden Leben geblieben war, hielt ich in den Armen, und gleich würde ich auch das aufgeben müssen.
Entschlossen schob ich die Empfindung fort und ging los. Ich bog gerade um die Hausecke, als ich fast in Frau Levander hineinrannte.
»Dachte ich mir doch, dass ich deinen Wagen gehört habe. Das ist ja echt eine miserable Begrüßung, mein Sohn: nur eine Ladung Staub und sonst niemand da«, sprudelte es aus Frau Levander heraus. Sie unterbrach sich auch dann nicht, als sie längst begriffen hatte, dass es nicht Rufus war, der vor ihr stand. Ihr Blick blieb an meinem Gesicht hängen. Die schlafende Mila hatte sie vor lauter Verblüffung noch gar nicht bemerkt.
»Hallo, Frau Levander. Lange nicht gesehen.«
»Ja, aber das ist keine Ausrede dafür, mich plötzlich wieder zu siezen, Herr Bristol.« Sie blinzelte hektisch, als ein Déjà-vu an ihre mentale Pforte klopfte, dort aber nicht auf die vermutete Erinnerung, sondern nur auf ein paar schemenhafte Bilder traf. Meine Änderungsaktion bei unserem letzten Treffen war wirklich gründlich gewesen. Schließlich entschied sie wohl, dass sie es geträumt haben musste, schon einmal ein ähnliches Gespräch mit mir geführt zu haben. Aber bevor sie ihrer Verwunderung, dass ich quicklebendig vor ihr stand, Ausdruck verlieh, sah sie das schmale Bündel Mensch in meinen Armen.
»Oh nein, Mila, mein Engel! Was ist denn passiert?«
Frau Levander umfasste etwas grob das Kinn ihrer Tochter, um ihr ins
Weitere Kostenlose Bücher