Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
zu mir vollkommen trocken, obwohl ich mir ganz sicher war, dass er auch im Wasser gewesen sein musste. Was mich jedoch wirklich fesselte, war sein Gesichtsausdruck: offen und verletzlich. Er starrte sein nacktes Katana aus Bernstein an, das vor ihm auf
dem graublauen Grund lag. Von der Scheide war keine Spur zu sehen.
»Du hast mir doch nicht etwa dein Schwert gereicht, oder?«
»Mir ist nichts anderes übrig geblieben, nachdem du dich mit deiner entfesselten Kraft fast selbst ausgelöscht hast.« Er sagte es wertungsfrei, aber ich konnte ihm den Schmerz ansehen, den ihm die Erinnerung zufügte. Asamis Katana war ein Wahres Schwert. Niemand außer ihm durfte es berühren, denn es trug ein Stück seiner Seele. »Nur Bernstein ist imstande, unserer Energie eine Form zu verleihen, alles andere zerbricht unter ihr. Wie das geliehene Iaido, das du in dem vernichteten Süden in seine Bestandteile zerlegt hast.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe gehört, wie es geborsten ist – und nicht nur ich.«
Schlagartig wurde mir schwarz vor Augen, als die Erinnerung an das, was danach geschehen war, mich übermannte. »Ist sie tot?«, fragte ich mit rauer Stimme. »Habe ich der Schlange ihren gottverdammten Kopf abgeschlagen?«
Asami sah mich an, als habe ich einen kindischen Witz gemacht. »Ob du den Wächter des Südens getötet hast? Natürlich nicht. Nur lange genug aus dem Konzept gebracht, damit wir uns davonmachen konnten. Diesen mächtigen Wächter töten … Deine Selbstüberschätzung ist wirklich beispiellos, Samuel.«
Bei der Vorstellung, dass irgendwo in der Sphäre weiterhin dieses schlangengleiche Wesen seine Runden zog, wurde mir speiübel und ich spuckte eine Ladung Salzwasser aus. Ein letzter Gruß aus einem Reich, das mich niemals wieder sehen würde.
»Das war es definitiv mit mir und dem Weißen Licht«,
sagte ich laut und deutlich, soweit meine rauen Stimmbänder das zuließen.
Asami sah mich verständnislos an. »Warum? Das Weiße Licht hast du doch bestens gemeistert. Nur die Ausläufer des vernichteten Südens haben dir zu schaffen gemacht, obwohl ich zugeben muss, dass du dich wacker geschlagen hast.«
»Das vom Krieg vernichtete Gebiet.« Allein bei der Vorstellung drohte mein Magen, eine weitere Wasserladung hochzuschicken. »Ich dachte, es wäre einfach das Meer. Schließlich lag es unter mir, als ich im Weißen Licht herumgeflogen bin.«
Mittlerweile hatte auch Kastor sich aufgesetzt, wobei er aussah, als würde er unter Seekrankheit leiden: zittrig und ein Würgen unterdrückend. »Im Weißen Licht gibt es kein Oben und Unten. Diese Erfahrung hattest du doch bereits bei deinem ersten Besuch gemacht. Und was erzählst du da vom Meer? Das vom Krieg zerstörte Gebiet gleicht einer Flammenhölle. Überall Feuer, so weit das Auge reicht. Aber es brennt nicht, sondern ist kalt und schneidend, je tiefer man vordringt.«
»Die einzige Flamme, die ich dort gesehen habe, warst du«, antwortete ich leise, weil meine zugeschnürte Kehle nicht mehr zulassen wollte. »Was hast du gesehen, Asami?«
»Nichts als Schwärze, abgesehen von deinem hellen Strahlen, das mich magisch angezogen hat.«
Vorsichtig leckte ich über meine eingerissenen Lippen. »Wie gut, dass du nach mir Ausschau gehalten hast und nicht ich nach dir. Wäre sonst schwierig geworden, mit deiner dunklen Aura.«
Asami senkte zustimmend den Kopf, dann nahm er Kastor ins Visier. »Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass es bei dieser lebensmüden Unternehmung darum gegangen sei, dem Zustand des Schattens auf die Spur zu kommen. Stattdessen
hast du bloß ihn herausgefischt?« Mit einem missbilligenden Ausdruck deutete er auf die Figur, die einen schlafenden Jungen darstellte, wie ich jetzt erkannte. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass du dafür Samuels Leben riskiert hast.«
»Ich fühle mich eben für Nikolai verantwortlich, genau wie du dich für Samuel. Ansonsten wärst du uns wohl kaum gefolgt, nachdem du meinen Vorschlag bei der Versammlung mit solcher Vehemenz abgewehrt hast.«
Wer war Nikolai?
Während die beiden Schattenschwingen sich feindselig mit ihren Blicken maßen, rutschte ich näher an die Figur heran. Tatsächlich! Was ich die ganze Zeit über für eine aus Stein gemeißelte Figur gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein versteinerter Junge. Im Sonnenlicht erkannte ich nun, dass es sich bei der Hülle, die ihn umgab, keineswegs um ein Gemisch aus Algen und Muscheln handelte. Ganz im Gegenteil. Seine Hülle
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