Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
Berührung, als wolle sie mir nun doch die Möglichkeit, den Blick abzuwenden, zugestehen.
»Es tut mir leid, wenn ich dich überfordert habe«, sagte Shirin schließlich. »So gut kennenlernen wolltest du mich vermutlich auch wieder nicht.«
Obwohl meine Lider vor Anspannung zu zittern begannen, sah ich sie beharrlich an. Ich schuldete ihr meine Meinung, nachdem sie sich mir derart geöffnet hatte. »Was du über die dunkle Seite der Liebe gesagt hast, macht mir wirklich Angst. Vor allem, weil ich sehe, was dich diese Erfahrung gekostet hat. Aber das ändert nichts daran, dass ich es genau so wollte und es nicht bereue.«
»Tapfere Mila«, sagte Shirin, dann senkte sie langsam ihre Hand, die auf dem Papier zum Liegen kam. Allerdings nur einen Herzschlag lang. Länger ertrug sie die Berührung mit ihrem gemalten Selbst allem Anschein nach nicht. »Nimm es bitte weg. So gelungen deine Zeichnung ist, sosehr setzt ihre Wahrheit mir zu. Es reicht, dass ich seine Prägung immerzu spüren muss. Sie fühlt sich wie die Erinnerung an seine Berührung an. Sie zu sehen, ist zu viel.«
Nachdem ich noch einen raschen Blick auf das Papier geworfen hatte, schloss ich den Block. Erleichtert stellte ich fest, dass Shirin gerade ihr Tuch aufnahm. Denn ich brauchte
einige Zeit, um mein Gesicht wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Zeichen in Shirins Aura … noch konnte ich sie nicht deuten, aber kurz, bevor ich den Deckel geschlossen hatte, hatte ich sie deutlicher wahrgenommen als zuvor. Wie nachgezogen mit einer silbrigen Feder. Als wollten sie von mir gelesen werden. Oder als wollte jemand, dass ich sie las und dadurch zum Leben erweckte.
11
Ein schlafender Engel
Sam
Ich kam wieder zu mir, weil das Salzwasser, das durch meine Nase ins Freie drängte, widerlich brannte. Keuchend bäumte ich mich auf, nur um von einem Paar kräftiger Hände sofort wieder in die Seitenlage gedrückt zu werden. Weil mir zum Widerstand schlicht die Kraft fehlte, und ich viel zu sehr über das Wunder staunte, mich nicht im Innern einer Riesenschlange wiederzufinden, fügte ich mich. Vorsichtig ertasteten meine Fingerspitzen den Grund, der sich uneben und porös anfühlte. In meinem Kopf machte sich kein Bild breit, das in Verbindung mit dem Ertasteten stand.
Keine Ahnung, wo ich war.
Keine Ahnung, wie ich dahin gelangt war.
Aber das sollte mir recht sein.
Alles war besser als dieses scharf geschnittene Maul, das sich gerade noch unter mir aufgetan hatte, um mich zu verschlingen.
Langsam kehrte das Leben in meine Glieder zurück, wenn es sich auch alles andere als prickelnd anfühlte. Nach einiger Zeit gelang es mir sogar, mich aufzusetzen, wobei ich gefährlich schwankte. Meine Augenhöhlen fühlten sich an, als seien sie mit Sand ausgerieben. Es dauerte einen Moment, bis sie auf scharf stellten. Nicht weit von mir entfernt lag Kastor mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Röchelnd sog er Luft in seine Lungen und
seine Haut schimmerte rot, als hätte er zu nah beim Feuer gestanden. Ansonsten schien er jedoch unversehrt. Seine Hand lag auf der verfluchten Figur, die er also selbst in der größten Gefahr nicht aufgegeben hatte. Diese Hartnäckigkeit würde ich ihm nie, wirklich niemals verzeihen, schwor ich mir.
Endlich erkannte ich, wo wir waren. Bislang hatte ich diesen Ort nur aus der Flugperspektive gesehen: eine breite Sandbank mitten im Meer, über die aus unerklärlichen Gründen kein Wasser hinwegging, obwohl die Wellen sich so wild aufführten, als würde ein Sturm sie peitschen. Das Meer war so unruhig, dass selbst ich hier nur zum Wechseln eintauchen würde, wenn mir nichts anderes übrig blieb – und dass sollte schon was bedeuten. Die Oberfläche der ovalen Insel war voller Muschelkalk und Algen, die eine feste Kruste bildeten, sodass nicht zu erkennen war, was darunter lag. Da es den Wellen jedoch nicht gelang, auch nur ein winziges Stück über die Barriere zu schwappen, musste hier wohl Magie mit im Spiel sein. Vermutlich führte sich das Meer deshalb so auf: Naturgewalten ließen sich nur unfreiwillig bändigen.
Abwägend blickte ich in den Himmel, doch die Sonne, die in der Sphäre stets hinter einem feinen Schleier lag, war wegen dichter Regenwolken nicht auszumachen. Das Licht wirkte bereits diesig, ich tippte auf späten Nachmittag. Nun, die Chance, Mila direkt nach der Schule zu besuchen, war damit wohl bereits vergeben.
Neben mir saß Asami mit unterschlagenen Beinen. Zu meiner Verwunderung war er im Gegensatz
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