Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
der Surflehrer. Im Moment erschreckte man mich besser nicht – ich war verdammt gereizt, auch so eine Nebenwirkung meiner erloschenen Aura. Ich nahm meine Umgebung nicht einmal mehr ansatzweise mit der gleichen Klarheit wahr wie zuvor. Ich kam mir vor wie eine Raubkatze, der man die Sinne genommen hatte und die entsprechend angriffslustig war.
Mit einem entschuldigenden Achselzucken gab ich Max’ Jacke frei und klopfte ihm auf die Schulter, wobei mich sein erschrockener Gesichtsausdruck verlegen machte. »Tut mir leid, ich war mit meinen Gedanken woanders und habe mich tierisch erschrocken, als du plötzlich hinter mir standest.«
»Schon okay. Mann, du bist echt verflucht schnell, weißt du das? Hast wohl besonders ausgeprägte Überlebensinstinkte nach deinem Roadtrip. Jeder, der sich von hinten anschleicht, ist ein Feind … oder so ähnlich.«
Max lächelte schief. Er war einer von diesen Kerlen, die Surfen für eine Religion hielten und entsprechend entspannt durchs Universum glitten. Obwohl er bestimmt schon Anfang zwanzig war, kam ich mir irrwitzigerweise wie der Ältere von uns beiden vor. Auf einem Surfbrett zu stehen und die Wellen zu spüren, war zweifelsohne eine feine Sache, aber es gab Wichtigeres im Leben. Diesen väterlichen Tipp verkniff ich mir allerdings tunlichst.
»Hör zu, Sammy: Was du brauchst, ist ein Bier oder was Anständiges zu rauchen, damit du runterkommst. Diese Daueranspannung, unter der du stehst, ist doch nicht gesund. Du bist schließlich keine Stromleitung.« Max lachte beglückt über seinen eigenen Witz.
»Ein anderes Mal, einverstanden? Ich will noch meine Freundin anrufen.« Demonstrativ holte ich Rufus’ Zweithandy hervor, das er mir geliehen hatte, und wählte Milas Nummer. Ich schaffte es gerade einmal, »Na, du. Alles bestens bei dir?« zu sagen, da hatte Max mir das Teil auch schon abgenommen.
»Hallo, Sammys Freundin«, flötete er. »Hier spricht Max, ein Kollege von der Surfschule. Ein paar von uns Nasen wollen jetzt zusammen auf einen Absacker los. Und wie immer will dein Freund sich drücken. Also, falls du heute Abend nicht vorhast, persönlich für seine Entspannung zu sorgen, könnten wir den Job ja mal ausnahmsweise übernehmen. Eine ganz lockere Veranstaltung mit ein paar Bierchen, nichts Aufregendes.«
Max lauschte konzentriert und ich ebenfalls, aber ich konnte nur Milas Stimme, jedoch nicht ihre Worte hören. Sie klang bestens gelaunt.
»Sammy muss ja keinen Alkohol trinken, wenn er darauf nicht kann. Macht Babette, Tonis Freundin, auch nicht und die kommt trotzdem mit. Es geht darum, beisammenzusitzen und zu quatschen. Der Bursche kann doch nicht immer nur schuften oder bei dir hocken, verstehste? Der muss doch auch mal ein wenig leben.«
Ich konnte mir Milas Antwort denken, denn Max nickte zufrieden und gab mir das Handy.
»Für die dreiste Nummer wässere ich morgen früh deinen Neoprenanzug«, drohte ich ihm, dann wendete ich mich dem Handy zu, aus dem ein fernes Lachen schall. »Hey, Mila. Vergiss den Komiker von eben und erzähl mir, was du gerade machst.«
»Mich von dir verabschieden.« In Milas Stimme wirkte ihr Lachen nach.
»Warum verabschieden?«
»Weil du jetzt mit ein paar Leuten um die Häuser ziehst, und ich nicht. Ich wünsche dir ganz viel Spaß dabei.«
Spaß? Von wegen. Ich winkte Max zum Abschied zu und marschierte in Richtung Wohnwagen los. »Unsinn, ich ziehe nicht um die Häuser, sondern telefoniere mit dir. Das ist es, was ich tun will.«
»Nein, heute Abend nicht. Hör auf Max und probier aus, wie sich das normale Leben anfühlt. Das wird dir guttun. Dann habe ich auch die Zeit, noch einmal in Ruhe die Matheaufgaben durchzugehen, damit Frau Olsen mich morgen nicht in meine Bestandteile zerlegt und unsere ganze Arbeit für umsonst gewesen ist. Also, tu dir selbst einen Gefallen und hab einen schönen Abend.«
»Ich will keinen schönen Abend, ich will mit dir sprechen und mir dann zum Schlafen die Decke über den Kopf ziehen. Mehr nicht.«
Leider bekam sie nichts von meinem Entschluss mit, denn sie hatte das Gespräch bereits weggedrückt. Als ich erneut ihre Nummer wählte, ging die Mailbox dran. Es war ihr offenbar ernst.
Mit einem Knurren steckte ich das Handy weg und blickte zu Max, der sich in aller Ruhe eine Zigarette drehte. Sein Grinsen konnte ich selbst in der Dunkelheit erkennen. Mila wollte also, dass ich mal echtes Leben spielte. Bitte, konnte sie haben.
Ich stampfte auf Max zu. »Wehe, ich amüsiere
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