Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
darstellen.«
Ich überhörte, was Kastor über meine Aura sagte. Es spielte schließlich keine Rolle mehr. Genau wie es keine Rolle spielte, dass ich mich freute, Kastor zu sehen. »Es geht Shirin also wieder besser?«
»Besser? Ja. Gut? Nein. Ich bin kein Heiler und auch nicht ihr Vertrauter. Jedenfalls nicht die Art Vertrauter, die sie bitter benötigt.«
Tausend Fragen jagten mir gleichzeitig durch den Kopf, denn seit ich Kastor bei der schwer verletzten Shirin zurückgelassen hatte, waren wir einander nicht mehr begegnet. Ich hatte ihm lediglich eine Nachricht geschickt, dass der Schatten, der uns alle gefährdet hatte, ausgelöscht war. Kastor wusste also, dass ihnen in der Sphäre keinerlei Gefahr mehr drohte, und war trotzdem in der Menschenwelt geblieben.
»Wenn Shirin Hilfe benötigt, die sie von dir nicht bekommen kann, frage ich mich ernsthaft, warum du sie nicht in die Sphäre zurückbringst. Irgendeine von den alten Schattenschwingen wird sicherlich wissen, was ihr Besserung bringt.«
»Die älteren Schattenschwingen, sagst du. Die würden sich gewiss darum reißen, ausgerechnet Shirin zu helfen, nachdem sie alles daran gesetzt haben, sie zu vertreiben. Nein, von deren Seite ist keine Hilfe zu erwarten, außerdem ist ein Wechsel in ihrem Zustand unmöglich. Shirin ist beinahe erloschen durch die Verletzung, die der Schatten ihr zugefügt hat, und ich bin außerstande, die Klinge herauszuziehen, die weiterhin in ihrem Körper steckt und ihn zugrunde richtet. Mir ist es lediglich möglich, sie für eine kurze Dauer anzufassen – und das kostet mich schon fast die gesamte Kraft, die mir zur Verfügung steht. Diese Klinge in Shirins Leib … Niemand weiß, was diese Waffe noch anrichtet, wenn sie nicht bald rausgezogen wird.«
Wut stieg in mir auf und ich missachtete ihren wahren Auslöser: mein schlechtes Gewissen, meinen beiden Freunden nicht beizustehen, obwohl ich es mir sehnlichst wünschte. Die Angelegenheiten der Schattenschwingen durften mich nicht länger kümmern, ansonsten würde ich niemals von ihnen loskommen, würde einen Grund nach dem nächsten finden, um für weitere geliehene Zeit zu ihnen zu gehören. Der Schlussstrich, den ich gezogen hatte, musste endgültig sein.
»Ich wette, Ranuken wechselt weiterhin fleißig zwischen den Welten. Lass ihn Asami mitbringen, zusammen werdet ihr schon stark genug sein, um es mit dieser verfluchten Klinge in Shirins Brust aufzunehmen. So mächtig kann sie doch gar nicht sein, nachdem ihr Erschaffer nicht länger existiert. Eine solche Herausforderung wäre für Asami sicher ein gefundenes Fressen, er ist doch sonst …« Mitten im Satz stockte mir der Atem.
Zum ersten Mal, seit ich Asamis Bitte abgewiesen hatte, mit ihm in die Sphäre zu gehen, sprach ich seinen Namen laut aus. Allein diese Tatsache schmerzte und der Schmerz machte mich noch wütender. Kastors Blick lag auf mir, zwei Feuermonde am Nachthimmel. Sein Schweigen dauerte an, als wollte er mir die Möglichkeit eines Kurswechsels zugestehen. Es sollte meine Chance sein, erneut die Verantwortung für die Geschicke der Schattenschwingen zu übernehmen. Zumindest für die, die mir am Herzen lagen. In diesem Moment hasste ich ihn für sein Vertrauen in mich, und noch mehr dafür, dass er für ein Leben stand, das ich nicht führen durfte.
»Leider ist dein Vorschlag, Asami nach St. Martin zu holen, nicht ohne Weiteres in die Tat umzusetzen. Selbst wenn er seine Hilfe zusagen würde, was ich mir – ehrlich gesagt – nicht vorstellen kann. Wer sollte seinen Wechsel begleiten, da Asami seine Pforte nicht kennt? Ranuken weicht Shirin nicht von der Seite, wodurch es mir unmöglich wird zu wechseln. Denn im Gegensatz zu dir brauche ich dazu Hilfe, jemanden, der in der Sphäre ein Feuer für mich entfacht. Du wirst das allerdings nicht sein, wenn ich mir deine Reaktion so ansehe.«
»Womit du richtig liegst.«
Die Worte fühlten sich wie Säure in meinem Mund an. Von der beschwichtigenden Wirkung des Alkohols war nichts übrig geblieben. Kastor beugte sich zu mir runter, und obwohl es gewiss nicht seine Absicht war, kam es mir vor, als blicke er auf mich herab.
»Ich bin nicht gekommen, um dich gegen mich aufzubringen, Samuel. Du hast mir deine Entscheidung mitgeteilt, und ich akzeptiere, dass du an ihr festhältst – auch wenn es mir schwerfällt. Nicht nur weil wir deine Hilfe dringend nötig haben, sondern weil ich dich vermisse und es mir für dich leid tut. Auf Dauer wird diese
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