Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
musste ich durch, egal was mir das Feuer antat. Ich hielt die Luft an, presste meinen Unterarm vors Gesicht und sprang. Kaum hatte ich den Stahlträger hinter mir gelassen, griff auch schon die Gluthitze nach mir. Sie versengte mich nicht, sondern glitt über mich hinweg und gewährte mir Einlass in dieses Flammenreich. Kurz vor dem Aufschlag öffnete ich die Schwingen, doch sie federten den Aufprall kaum ab. Schmerz jagte durch meine Gelenke und ich fiel auf alle viere. Ein Keuchen unterdrückend, richtete ich mich auf, um mitten in der Bewegung zu erstarren.
Nur einige Schritte von mir entfernt stand Nikolai, so engelsgleich wie eh und je, makellos bis auf die Stelle unter der Brust, wo Mila ihn gezeichnet hatte. Der eingeritzte Pfeil leuchtete wie eine frisch geschlagene Wunde, und aus ihr floss ein goldener Lichtstrom, der seine eigentlich längst erloschene Aura zum Strahlen brachte. Dabei veränderte sie unentwegt ihr Aussehen: ein Eiskranz, der jedoch von Schatten durchzogen und gesäumt wurde von einem Licht, das mir überaus vertraut war, weil es eigentlich zu meiner Aura gehörte. Eine zutiefst unheilige Mischung.
Mehr als Nikolais beunruhigende Erscheinung verstörte mich jedoch Mila, die mit gebeugtem Rücken vor Nikolai stand, während seine Hand auf ihrem Nacken lag. Ihr Gesicht war kreidebleich, denn genau wie ich wusste sie nur allzu gut, dass diese Hand ihr innerhalb einer Sekunde das Genick zu brechen imstande war. Von Lena hingegen war keine Spur zu entdecken.
»Ich bin überrascht, wie lange du gebraucht hast, um zu uns zu stoßen«, sagte Nikolai mit lauter Stimme, um den Lärm des Feuers zu übertönen. Seine fast weißen Schwingen waren weit geöffnet und ein rotes Glimmen schimmerte auf ihnen, als bluteten sie. »Andererseits ist das in deinem Zustand wohl auch kein Wunder. Ich sollte vermutlich froh sein, dass deine Schwingen dich überhaupt zu mir getragen haben. Wie auch immer: Bist du bereit, Samuel?«
»Das bin ich.«
Dabei war es vollkommen egal, was Nikolai mit seiner Frage meinte. Ich war dazu bereit, alles zu tun, was er verlangte, wenn er bloß seine Hand von Milas Nacken nahm.
17 Einschnitt
Mila
Zuerst dachte ich, der Schatten in der Feuerwand wäre ein Trugbild, denn die Hitze und der Rauch hatten mir Tränen in die Augen getrieben, während meine Instinkte angesichts der dicht neben mir züngelnden Flammen verrücktspielten. Aber es war kein Wunschbild, Sam war da, er war wirklich gekommen, obwohl der Ring an meiner Hand mir das Gefühl gegeben hatte, wie wären voneinander abgeschnitten. Für immer.
Trotzdem wagte ich es kaum, mich zu rühren. Hauptsächlich aus Furcht, Nikolais federleicht auf meiner Schulter liegende Hand könnte plötzlich fest zugreifen, aber auch aus Hoffnungslosigkeit, denn diesen Kampf konnten weder Sam noch ich gewinnen. Nikolai war bereits der Sieger, er hatte Lena als Pfand, die er, kaum dass sie durch die Feuerwand getreten war, durch seine Pforte geschleudert hatte. Ausgerechnet Lena, die vermutlich schon der Gedanke an die Sphäre den Verstand kostete. »Wenn ich diesen Kampf zu verlieren drohe«, hatte Nikolai mich angezischt, als ich vollkommen sinnlos versuchte, in die tanzende Aschewolke einzutauchen, um ihr zu helfen, »werde ich dank meiner Pforte vor allen anderen bei deiner Freundin sein und sie zahlen lassen. Denk daran, wenn Sam gleich kommt: Es geht nicht nur um dich bei diesem Kampf, sondern auch um sie. Ich werde gewinnen. Akzeptier das besser gleich.«
So wie Sam jetzt auf Nikolais und meinen Anblick reagierte, hatte er genau das vor: zu akzeptieren, dass er verloren hatte. Warum sonst blieb er auf den Knien, anstatt anzugreifen?
Nikolai schien diese Geste zu gefallen. »Ich bin froh, dass du deine Unterlegenheit akzeptierst, Samuel. Trotzdem würde ich gerne wissen, ob du begreifst, was gerade passiert? Erkennst du wenigstens einen Stück des Weges, den ich seit meiner Wiedergeburt beschritten habe? Ja, so muss es sein. Ansonsten würdest du dich wohl kaum freiwillig unterwerfen.«
Sam war die Abscheu vom Gesicht abzulesen. »Ehrlich gesagt, habe ich nicht die geringste Ahnung, was dir durch den Kopf geht. Aber solange du Mila in deiner Gewalt hast, ist das auch unwichtig. Sag mir einfach, was du für ihre Freilassung forderst, Ask, Schatten, Nikolai oder wie auch immer du dich nennen magst.«
»Nikolai gefällt mir ausgesprochen gut, schließlich war das der Name, der mir bei meiner Wiedergeburt zugefallen ist.« Obwohl
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