Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
dauern, und ich habe noch anderes zu tun, als euch beide im Auge zu behalten.«
Der Druck der Obsidianklinge verschwand von meiner Kehle und im nächsten Moment fing Sam sie auch schon auf.
»Normalerweise würde ich Mila bitten, dir das Symbol einzuschneiden, darin liegt schließlich ihr großes Talent. In diesem Fall wäre ich dir allerdings dankbar, wenn du das selbst vornehmen könntest.«
Sam blinzelte, dann fasste er sich an die Schläfe, als jage ein schneidender Schmerz hindurch. Ich hatte eine Ahnung, warum: Nikolai hatte ihm das Symbol gezeigt, mit dem er seine eigene Versklavung einläuten sollte. Verzweifelt versuchte ich in Sams Gedanken vorzudringen, zu sehen, was er gesehen hatte, in der Hoffnung, ihm eine Veränderung einzugeben, durch die die Macht des Symbols gebrochen würde. Doch bevor ich dazu kam, zerrte Nikolai an meinen Haaren und mein Kopf flog nach hinten.
»Du hältst dich gefälligst vornehm zurück, Mädchen. Keine Kommentare mehr und auch keine Versuche, unseren Samuel über den Ring zu erreichen. Du weißt, dass ich dir sehr wehtun kann, auch ohne dich körperlich zu verletzen.«
»Ach, ja?«, ächzte ich, mutiger, als ich in Wirklichkeit war.
Zum Beweis verdichtete sich vor meinem inneren Auge ein Bild von Sam, auf dessen Brust ein grausam anmutendes Zeichen prangte. In seinen Augen flackerte nach wie vor das Blaugrün des Meeres, aber jeder Funke von Leben war aus ihnen gewichen. Der Sam, den ich kannte und mit jeder Faser meines Wesens liebte, war verschwunden. Vor mir stand eine seelenlose Kreatur, die auf einen erteilten Befehl hin die Hand nach mir ausstreckte. Widerwillen baute sich in mir auf und verdrängte den Gedanken, dass diese Schattenschwinge immer noch Sam war, nur eben ein Sam, der wegen des Zeichens unter Nikolais Willen stand. Nein, begriff ich voll Entsetzen, während Nikolais Finger sich auf mich legten, das wäre nicht mehr Sam, er wäre ganz und gar Nikolais Geschöpf. Es wäre, als würde Nikolai mich berühren.
»Begreifst du, was ich meine?«, flüsterte Nikolai in mein Ohr.
Oh, ja, ich verstand. Er brauchte meinen Sam gar nicht erst zu einem willenlosen Etwas zu machen, von dem nur seine äußere Hülle blieb. Es genügte, dieses Bild als Drohung zu benutzen, um mich damit im Zaum zu halten. Er würde mich damit erpressen, dass Sam mir unter seinem Befehl die allerschrecklichsten Dinge antun könnte, so lange, bis ich ihn hasste. Das würde ich nicht überleben, da war ich mir sicher.
»Und du, Samuel, solltest die Klinge nicht wie ein Messer in deiner Faust halten, sonst kommt mir noch der Verdacht, du könntest mich zu guter Letzt doch noch angreifen. Benutz seine Spitze endlich für das Symbol.«
Durch den Tränenschleier in meinen Augen sah ich zu, wie Sam den Kopf senkte und die Obsidianklinge auf der linken Seite seiner Brust ansetzte. Sah den hauchzarten Schnitt, der schwärzlich anlief, während eine ungeahnte Schmerzwelle durch den Ring zu mir hinüberfloss. Das Symbol verletzte ihn, aber nicht nur seinen Körper, sondern sein tiefstes Innerstes.
Unvermittelt sank Sam auf die Knie, vornübergebeugt und zitternd.
Nikolai vergaß den Griff in meinem Haar, als er sich Sam begierig entgegenstreckte. »Weiter«, befahl er. »Hör nicht auf, nicht jetzt.«
Als könnte er nur mit größter Not seine Hand kontrollieren, setzte Sam die Obsidianklinge erneut an, wobei er damit Probleme hatte, weil sein Brustkorb sich so heftig hob und senkte. Ein weiterer schwarzer Strich entstand. Sam rammte die Klinge in den Boden und schrie auf. Es war ein verzweifelter Laut, der mich fast um den Verstand brachte, während er in Nikolais Ohren reinste Musik zu sein schien.
»Und jetzt: vollende es.«
Ich versuchte mich loszureißen, doch ich hatte keine Chance. Hilflos sah ich zu, wie Sam sich aufrichtete und die Klinge erneut ansetzte. Sein Gesicht sah ich nicht, er hielt den Kopf gesenkt. Sein Haar schimmerte wie dunkles Gold und ich dachte voller Trauer, dass das Strahlen, das ihn stets umgeben hatte, gleich nicht mehr ihm gehören würde.
Hinter mir atmete Nikolai vor Erleichterung auf. Aber nur kurz, denn schon im nächsten Moment zeichnete sich ein Umriss in der Feuerwand ab.
Dann trat Kastor hervor.
18 Brandopfer
Es war trotz aller Umstände ein überwältigender Anblick, wie Kastor die meterhoch emporzüngelnde Feuerwand durchteilte, als wäre sie lediglich ein Vorhang aus roter Seide. Das Brennen in seinen Augen übertraf das Flammenspiel bei
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