Schattenspäher
fragte Eisenfuß.
»Unsere Sela«, sagte Paet. »Everess hat sie dazu angestiftet.«
Plötzlich war es totenstill im Büro.
»Aber warum?«, fragte Eisenfuß schließlich. »Liegt so was denn in unserem, ähm, Aufgabenbereich?«
Paet zuckte die Achseln. »Einer der Vorteile, zu den Schatten zu gehören, besteht darin, dass wir keinen offiziellen Aufgabenbereich haben. Sollte unser Außenminister allerdings mit dieser Tat in Zusammenhang gebracht werden, wird er sich wohl bald nach einem neuen Aufgabenbereich, wenn nicht nach einem neuen Kopf umsehen müssen.«
»Aber was kann Everess dazu gebracht haben?«
»Genau das will ich rausfinden.«
Am nächsten Morgen wurde Silberdun durch das Klingeln an der Haustür geweckt. Draußen war eben erst die Sonne aufgegangen, und er hatte nicht mehr als vier Stunden geschlafen.
Kurz darauf huschte sein Diener Olou ins Zimmer, ohne Anzuklopfen, wie es seine Gewohnheit war.
»Anzuklopfen«, sagte Silberdun, »ist ein Zeichen von Höflichkeit und Anstand. In jedem Winkel dieses Reiches, Olou.«
Olou zuckte die Achseln. »Ich bin vielleicht Euer Diener, aber ich bin auch Offizier im Außenministerium. Und soweit es die amtliche Version des Ministeriums betrifft, ist das hier mein Haus und Ihr seid der kranke Onkel, den ich zu pflegen habe.«
»Ich wusste, dass die Sache einen Haken hat.« Silberdun stand auf, um sich anzuziehen. Er betrachtete die Kleidung, die Olou ihm für den heutigen Tag zurechtgelegt hatte. »Nette Klamotten«, bemerkte er.
»Ich bemühe mich nach Kräften.«
»Wer hat denn zu dieser frühen Stunde wie ein Verrückter an meiner, Verzeihung, Eurer Tür geklingelt?«
»Abt Estiane vom Tempel Aba-Nylae.«
»Was will er denn?«
»Es steht mir nicht an, ihn danach zu fragen, mein Herr.«
Silberdun war fertig mit Anziehen und verließ mit einem Schnauben in Richtung Olou sein Zimmer. Als er im Salon seines Hauses Platz nahm, war er schon ein bisschen besser gelaunt und begrüßte Estiane mit einem Lächeln, das dieser jedoch nicht erwiderte.
»Was ist los, Estiane? Hat man am Ende Euer geheimes Alkoholversteck entdeckt?«
»Ich spreche an diesem Morgen zu Lord Everess«, sagte Estiane. »Abhängig vom Ausgang dieser Unterredung, werde ich Euch bitten, die Wahl Eurer ... Tätigkeit noch einmal zu überdenken.«
»Sagt ausgerechnet der, der mir die Suppe erst eingebrockt hat.«
»Es ist etwas vorgefallen«, sagte Estiane, »wodurch ich meine Entscheidung in Frage stellen muss.«
»Glaubt mir, ich hab die Sache für uns beide wieder und wieder in Frage in gestellt.«
»Aus welchem Grund?«, fragte Estiane. Die Augen des Abts waren gerötet, so als hätte er bitterlich geweint.
»Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen kann.«
»Aha.« Estiane faltete die Hände im Schoß. »Geheimhaltung. So seid Ihr also in der Tat mit Haut und Haar in die Schattenwelt eingetaucht, Perrin.«
»Nun«, sagte Silberdun, »das wusste ich schon, bevor ich mich auf Everess eingelassen habe, und es ist mir mehr als einmal mit Nachdruck klargemacht worden.«
»Darüber sprechen wir noch. Später. Ich wollte Euch nur ... in Kenntnis setzen.«
»Abt«, sagte Silberdun. »Wie weit reicht eigentlich Abas Wille zur Vergebung? Ich frage nur aus Neugier.«
Estiane seufzte. »Die Schrift sagt, Abas Güte ist unendlich, Kind. Hoffen wir zu unser beider Seelenheil, dass dies auch stimmt.«
Lord Everess' Büro war groß und behaglich, dekoriert mit ausgesuchten Antiquitäten und allerlei religiösen Artefakten, darunter ein Rauchfass aus der Widder-Periode; ein chthonischer Kandelaber mit zwölf Kerzen in verschiedenen Elementarfarben - jede von ihnen stand für einen Gott und die entsprechende Gabe; die Bronzestatue eines Menschengottes - ein abstoßend fetter Mann, der segnend seine Hände hob. Everess war eigentlich kein religiöser Mann, entstammte er doch dem Hochadel, wo man über dergleichen nur die Nase rümpfte. Ein arkadischer Gegenspieler hatte vor dem Oberhaus einmal treffend bemerkt, dass Everess' einzige Religion die Macht sei, und damit großes Gelächter auf den Rängen ausgelöst.
Frömmelnde Zeitgenossen bereiteten Everess keine Kopfschmerzen, nicht einmal der politische Gegner, wie man annehmen könnte. Es gab in der Tat nur zwei Personen in den ganzen Faelanden, die ihn wahrlich beunruhigten: Regina Titania und Anführer Paet. Die Macht der Königin mochte vielleicht nicht mehr ganz so stark sein wie einst, aber das war so, als behauptete man, der
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