Schattenspäher
kleine Menschen-Statue zur Hand. Der Antiquitätenhändler, der sie ihm verkauft hatte, meinte, es würde Glück bringen, wenn man ihr über den Bauch rieb. »Das Glück der Stümper«, sagte er zu der Statue, als er sie wieder an ihren Platz stellte.
20. KAPITEL
Mit der Zeit wird selbst das größte Wunder alltäglich und aufhören, ein Wunder zu sein.
- Fae-Sprichwort
Der Herbst endete mit einigen bitterkalten Tagen, die Erinnerungen an den Midwinter wachriefen. Aber auch diese Zeit ging vorüber, und dann hielt der Frühling mit seiner ganzen Magie Einzug in den Faelanden. Die Kirschbäume auf der Promenade schlugen aus, der Regen wurde zu einem unbeständigen Tröpfeln, und Smaragdstadt erwachte zu neuem Leben.
Eine ganze Woche stand die Stadt im Zeichen von Titanias Frühlingsfestzug - bunte Banner flatterten von Laternen und Fenstern, die Straßen waren übersät mit Rosenblüten, die aus Titanias privaten Blumengarten stammten. Tag und Nacht drang Musik aus dem äußeren Burgfried der Großen Seelie-Feste, und der Umzug selbst, der am Ende der Woche stattfand, dauerte bald zehn Stunden, in denen Pyrotechniker und ein Mestina-Großmeister auf dem Gelände der Feste ihre Kunst der Öffentlichkeit vorführten.
Die Mestina führten ein großes historisches Schauspiel auf. Es begann mit Uvenchaud, der den Drachen Achera erschlug, und gipfelte darin, wie die vereinigten Faestämme im Mittlande-Krieg zum Sieg über den Alten Thule geführt wurden. Der Feueratem Acheras war dabei so täuschend echt, dass die Kinder erschrocken aufkreischten, als er über ihre Köpfe hinwegflog, und es ging ein Raunen durch die Menge, als Uvenchaud die Schutzwälle von Drae überwand und Thule-König Marlace in der letzten Schlacht bezwang. Die letzte Szene zeigte Uvenchaud bei seiner Krönung zum König der Faelande. Hier brach die Menge in frenetischen Jubel aus und ließ Blütenblätter auf die Mestina regnen, die am Boden stehend die Geschichte der Fae mit ihrem bezaubernden Blendwerk über sich zum Leben erweckten.
Die Schatten nahmen nicht an den Feierlichkeiten teil. In ebendieser Woche kehrte Silberdun nach Annwn zurück, um Magister Wenathn ein erkleckliches Sümmchen Goldes zu überreichen, denn er hatte seine Wiederwahl gewonnen. Nun blickte Wenathn begehrlich auf einen Sitz im Hohen Rat, und die Schatten waren mehr als glücklich, ihm dabei so gut wie möglich zu helfen. Und je enger ihre Beziehungen wurden, umso wertvoller wurden die Informationen, die Wenathn ihnen zukommen ließ.
Und so brachte Silberdun seinen Frühling hauptsächlich damit zu, den endlosen Fluss an Hinweisen von Quellen aus Nah und Fern zu sichten auf der Suche nach Anhaltspunkten, die auf Mabs nächste Schritte hindeuteten. Indes, verwertbare Ergebnisse waren dünn gesät. Die Truppen der Unseelie versammelten sich auch weiterhin, wenngleich sehr langsam, nahe der Grenze. Das hieß zunächst nichts weiter, als dass irgendwann irgendwas bevorstand. Zudem gab es keine Information über die Einszorn-Waffe oder darüber, warum sie seit Selafae nicht wieder eingesetzt worden war.
Eisenfuß verschanzte sich die meiste Zeit in Haus Schwarzenstein, umgeben von seinen Karten und Skizzen, und stellte von morgens bis abends Kalkulationen an. Seine Wut, die Funktionsweise der Einszorn zu entschlüsseln, hatte sich in Verzweiflung und zuletzt in Entmutigung gewandelt, als er zu dem Glauben gelangte, dass das Problem unlösbar war. Er hatte sich während des Frühjahrs eine Art Arbeitsplan zurechtgelegt: Er würde über der Frage grübeln, bis ihn die Wut packte, und dann einige Tage Pause einlegen, in denen er Sela und Silberdun bei der Auswertung der Geheimdienstinformationen half.
Sowohl Eisenfuß als auch Silberdun stellten fest, dass ihre Gaben beständig an Kraft zunahmen, doch da sie sich nicht mehr in ausgesprochener Gefahr befanden, ereigneten sich in dieser Zeit natürlich auch keine Wunder mehr wie nachwachsende Körperteile oder Höchstleistungen in Sachen Führerschaft. Zunächst sprachen sie noch oft davon, und Eisenfuß hatte diesbezüglich auch einige Forschungen angestellt, um herauszufinden, was man auf Kastell Weißenberg mit ihnen angestellt haben mochte, jedoch ohne Erfolg. Er verfolgte die Sache allerdings nicht weiter; immerhin hatte er bereits ein schwieriges Problem auf dem Tisch und insofern wenig Lust, sich an einem weiteren abzuarbeiten.
Wie Everess vorausgesagt hatte, wurde im Mordfall Heron keinerlei Fortschritt erzielt; die
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