Schattenspäher
mich? Meine Kehle ist wie ausgedörrt.«
Die Augen des Mannes weiteten sich. »Welche Art Wasser?«, fragte er mit leicht bebender Stimme.
Silberdun blickte dem Mann direkt in die Augen. »Wasser aus dem reinsten Quell.«
Wovon in aller Welt redete Silberdun denn da? Wovon auch immer, der junge Mann schien zu verstehen, denn nun nickte er und lehnte sich seinerseits ein Stück vor, legte Silberdun gar eine Hand auf die Schulter.
»Da ist Wasser im Überfluss«, flüsterte er.
Silberdun nickte.
»Woher kommt Ihr?«, fragte der Mann leise.
»Mag Mell.«
Der Mann lächelte.
Die Soldaten kamen näher. Als sie auf Höhe von Sela, Silberdun und Eisenfuß waren, hielten sie an und studierten das Trio aufs Genaueste.
»Gehört Ihr drei zusammen?«, fragte einer der Soldaten Silberdun und seine beiden Sitznachbarn.
»Nein«, sagte der junge Familienvater. »Wir reisen nur gemeinsam. Kommen gerade von einem Urlaub in Mag Mell.«
»Aha«, sagte der Soldat, und sein Blick hellte sich auf. »Dürfte ich dann mal Eure Papiere sehen?«
Der Soldat sah sich jeden Pass genau an. Die Familie war demnach tatsächlich gerade aus Mag Mell zurückgekehrt.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Eisenfuß beiläufig.
»Wir haben erfahren, dass möglicherweise einige verdächtige Personen an Bord dieses Schiffes sind. Zwei Männer und eine Frau, die zusammen reisen.«
Die Ehefrau des jungen Mannes erbleichte. »Meine Gute, sind sie denn gefährlich?«
»Ich glaube nicht«, sagte der Soldat. »Vermutlich Häretiker. Aba-Anhänger wahrscheinlich.«
»Ah«, sagte der junge Mann. »Ich finde ja, dass man Arkadier sofort an ihrem glasigen, starren Blick erkennt - das unverkennbare Zeichen blinder Gefolgschaft, wenn man mich fragt.« Er hob verächtlich die Augenbrauen.
Der Soldat kichert. »Da mögt Ihr Recht haben, mein Herr.« Er nickte seinen Begleitern zu. »Bitte entschuldigt die Störung.« Seine Augen blieben für einen Moment an Sela hängen, und der schwächste aller Fäden entspann sich zwischen ihnen. Er fand sie attraktiv, mehr nicht. Aber es reichte. Sie schickte all ihre mentale Kraft durch den Faden: Glaube mir!
»Ich sah zwei Männer und eine Frau auf der Plattform, bevor wir an Bord kamen«, sagte sie. »Die sahen sehr verdächtig aus. Ich erinnere mich deshalb an sie, weil sie gerade im Begriff waren, ihre Fahrscheine vorzuzeigen, dann aber ihre Meinung änderten und zurück zur Station gingen. Ist das nicht seltsam?«
Der Soldat nickte. »Allerdings! Ihr seid eine gute Beobachterin, junge Frau.«
Er wandte sich zu seinen Begleitern um. »Scheint, sie sind uns durch die Lappen gegangen«, sagte er leise. »Ich schicke die Botenfee zurück und sag denen, die sollen aufhören, uns unsere Zeit zu stehlen.«
Und dann waren sie auch schon wieder fort. Silberdun er griff die Hand des jungen Mannes. »Ich danke Euch«, sagte er.
»Ich bin Euer Bruder«, sagte der Mann. »Es gibt nichts, wofür Ihr mir danken müsstet.«
Sela sah Silberdun fragend an. »Ich erkläre es dir später«, flüsterte er ihr zu.
26. KAPITEL
Alpaurle: So lasst uns denn über den braven Mann sprechen. Wie erkennen wir einen braven Mann?
Hoher Priester: Das ist leicht. Ein braver Mann ist jemand, der keine unzüchtigen Gedanken hegt und frevelhafte Taten begeht, jemand, der die Sünde meidet.
Alpaurle: Und woher wissen wir, welche Gedanken und Taten unzüchtig oder frevelhaft sind?
Hoher Priester: Ist das nicht offensichtlich?
Alpaurle: Nun, für mich ist es nicht offensichtlich, wie überhaupt nur weniges offensichtlich ist.
Aber vielleicht könnt Ihr es mir ja erklären?
- Alpaurle, aus Gespräche mit dem Hohen Priester von Ulet,
Gespräch VI, herausgegeben von Feven IV zu Smaragdstadt
Der Rest der Reise verlief ohne weitere Vorkommnisse. Sie alle schliefen fast den ganzen Tag an Bord von Mabs Verachtung.
Selas Träume waren flüchtig und seltsam, wobei sie Traumbilder derjenigen mit einarbeitete, die um sie herum schliefen. Sie sah Silberdun in einem Weizenfeld liegen und eine Frau in Weiß küssen. Die Frau hatte langes, goldfarbenes Haar und trug einen Reif um ihren Oberarm - ein Verfluchtes Objekt. Sela spürte Wärme, ließ sich tiefer in dieses Bild hineinziehen, spürte, wie die Ähren an ihren Beinen kitzelten. Silberdun beugte sich hinab, um den Nacken der Frau zu küssen, und da sah Sela ihr Antlitz; es war nicht Sela. Diese Frau war jünger, ihre Gesichtszüge waren scharf geschnitten, und ihre Augen funkelten vor Lust.
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