Schattenspäher
Eisenfuß, »dass Silberdun nicht ganz Unrecht hat.«
»Hört auf damit!«, zischte Sela. »Wir müssen uns doch wie richtige Unseelie benehmen.«
Silberdun hob eine Augenbraue. »Und was sollen wir tun? Mab öffentlich loben und preisen, oder was?«
»Ihr wisst, was ich meine«, sagte Sela. »Wir gehören hierher. Wir stehen im Zentrum unserer Welt und nicht in der Höhle des Löwen.«
Schon oft hatte sich Silberdun in prekären Situationen befunden - tatsächlich schien sein Leben eine endlose Aneinanderreihung von Ungemach zu sein -, doch das hier schlug dem Fass den Boden aus.
Unglaublich, dass sie sich erst heute Morgen im Kaffeehaus vor den Kanzleiportalen in Smaragdstadt getroffen hatten. Von da waren sie über Mag Mell nach Annwn gereist, und von dort hierher. Im Laufe des Tages hatten sie ihren Weg per Kutsche, Boot, Pferd und vermutlich mit einem Dutzend weiterer Transportmöglichkeiten zurückgelegt, die Silberdun bereits vergessen hatte. Vierundzwanzig Stunden sowie drei Welten später waren sie nun endlich am Ziel.
»Ich weiß nicht, wie's euch geht«, sagte Eisenfuß, »aber mir wäre jetzt eher nach einem Nickerchen, als danach, einen brillanten Unseelie-Thaumaturgen hier rauszuschleusen.«
»So schwer war's nun auch wieder nicht herzukommen«, sagte Sela. »Wenn alles nach Plan läuft, sind wir schon morgen wieder zu Hause.«
»Es war nicht schwer herzukommen, weil das Herkommen der leichteste Part des Plans war«, sagte Silberdun. »Wenn dieser Timha bereits offiziell als vermisst gilt, werden wir allenthalben auf irgendwelche Sicherheitskräfte stoßen. Ich schätze, unsere Anwesenheit wird nicht lange unbemerkt bleiben.«
»Umso wichtiger, dass wir uns so unauffällig wie möglich geben«, mahnte Sela.
Silberdun sah das Mädchen an. »Vergiss nicht, dass du uns auf mögliche Gefahren hinweisen sollst, Sela. Wenn du also etwas in dieser Richtung spürst, machst du eine beiläufige Bemerkung über, ähm, Kamelienblüten.«
»Klar, so was lässt sich ja auch mühelos in jedes Gespräch einflechten ...«
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte Silberdun.
»Nein, ist schon in Ordnung.« Sie lächelte ihn an. Wie immer ängstigte und lockte ihn ihr Lächeln gleichermaßen. »Aber wir sollten uns vielleicht auf Lorbeeren einigen; Kamelien blühen erst im Herbst.«
»Darf ich darauf hinweisen«, meinte Eisenfuß matt, »dass wir solche Dinge vor unserer Abreise hätten besprechen sollen?«
Silberdun seufzte. »Aber so ist's doch viel spannender.«
Sela kicherte. »Wir werden alle sterben«, sagte sie.
Silberdun hoffte, sie hatte sich nur einen schlechten Witz erlaubt.
Mit ihren Unseelie-Pässen war es den dreien möglich, auf einem Transportschiff eine Passage nach Preyia zu buchen. Das Schiff hieß Mabs Verachtung und wartete schon auf sie.
»Sieh an«, bemerkte Silberdun. »Offensichtlich pflegen nicht nur die Schiffseigner auf dem Inlandmeer ihren Booten wenig vertrauenerweckende Namen zu geben.«
»Pst«, machte Sela.
Als sie aus der Station auf die Hauptplattform hinaustraten, mochte Sela ihren Augen kaum trauen. In der Ferne funkelte die aufgehende Sonne gerade eine Wolkenbank hinfort; am Horizont erhoben sich majestätische blaugraue Berge gen Himmel, und gleich hinter der Plattform erstreckten sich felsige Hügelketten so weit das Auge reichte.
Aber das war nichts im Vergleich zu den Schiffen. Die Auswahl reichte von winzigen Luftbarken bis hin zu riesigen fliegenden Dreimastern, deren aufgeblähte Segel im Morgenlicht schimmerten. Es schien Hunderte von ihnen hier zu geben; einige lagen im Dock auf der äußeren Plattform liegend, andere kamen und gingen. Die größten von ihnen waren selbst kleine fliegende Städte, deren Hauptmasten sich viele hundert Fuß in den Himmel schraubten. In Bewegung wirkten sie wie ein versprengter Schwarm Riesenfische, der durch die Lüfte segelte.
Sela versuchte, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen, zumal das Spektakel keinen der anderen Reisenden sonderlich zu faszinieren schien. Auch Silberdun, der das alles schon mal gesehen hatte und Sela nun an der Schulter durch die Menge schob, wirkte nicht sonderlich beeindruckt. Sie warf einen Blick zurück zu Eisenfuß, der ebenfalls sein Bestes gab, seine Begeisterung im Zaum zu halten.
Auf ihrem Weg wurden sie von jungen Burschen angesprochen, die sich anboten, ihr Gepäck zu tragen, und von Händlern, die ihnen billige Passagen auf Privatluftschiffen, Zuckerwerk oder süße Brötchen
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