Schattenspäher
Bauern mit ihren Handkarren, die ihre Feldfrüchte heimbrachten, die heute nicht verkauft worden waren.
Und dann kam Smaragdstadt. Die Kutsche bog auf einer Anhöhe um die Ecke, und Sela erhaschte, während sie zu Tal fuhren, einen ersten Blick auf das Stadtpanorama. Der Schein der untergehenden Sonne brach sich auf der Oberfläche eines riesigen Sees und tauchte die Große Seelie-Feste in goldenes Licht. Die Bastion befand sich genau im Zentrum der Stadt, errichtet auf einem Hügel, den Regina Titania der Legende nach buchstäblich im Handumdrehen aus dem Erdboden hatte erstehen lassen. Rund um die Anlage lag der Lustgarten der Königin, ein riesiges Areal, Seelie-Hain genannt, der allein der Regentin und ihren Eunuchen-Gärtnern vorbehalten war. Von dieser grünen Mitte aus strebten die Straßen der Stadt strahlenförmig in alle Richtungen. Die Spitzen der Tempel und Kathedralen ragten in den Himmel; in ihren Fenstern spiegelte sich tausendfach das Sonnenlicht, als die Kutsche die Anhöhe hinunterfuhr. Sela entdeckte auch zu gläsernen Spiralen geformte Türme, die jeglicher Gravitation zu trotzen schienen und deren Zweck allein der Königin bekannt war. Gebäude jeder Form, Größe und jedes Alters; einige vor tausenden von Jahren erschaffen, andere erst kürzlich errichtet.
Das sich stetig verändernde Smaragdstadt, alterslos und ewig. Sela hatte viel über die Seelie-Metropole gelesen, doch nun sah sie das architektonische Wunder zum ersten Mal mit eigenen Augen.
Umgeben wie von einem Schutzwall wurde die Große Seelie-Feste von der mächtigen Mauer. Wenngleich nicht höher als an die sechs Meter, war es doch schier unmöglich, sie zu erklimmen. Jeder, der es dennoch versuchte, würde feststellen, dass er die Wehrtürme niemals zu erreichen vermochte. Das zumindest hatte man Sela erzählt. Keinen Ort im gesamten Faereich umgaben mehr Mythen und Legenden als Smaragdstadt, und die Wahrheit, wie auch immer diese lauten mochte, schien so tief verschüttet zu sein, dass man sie nicht mehr von den Sagen unterscheiden konnte. Sela nahm an, dass Königin Titania persönlich dafür sorgte, dass dies auch so blieb. Wer könnte so töricht sein, diese Stadt einnehmen zu wollen? Eine irrelevante Frage, da dies keiner fremden Streitmacht jemals gestattet worden war.
Fast eine Stunde brauchte die Kutsche auf ihrem Weg talwärts, und mit jeder Meile, die sie zurücklegten, wuchs die Stadt vor Selas Augen, wurde größer und größer. Und immer wenn sie dachte, der Ort könne kaum mehr pompöser werden, rollte ihr Gefährt durch eine Baumgruppe, hinter der sich Smaragdstadt sodann noch prächtiger entfaltete - und zu doppelter Größe angewachsen war als noch vor einigen Minuten. Nie zuvor hatte sie etwas so Gigantisches erblickt, doch andererseits hatte sie bisher auch nur wenig von der Welt gesehen. Alles, was sie kannte, waren Lord Tanens Anwesen und Haus Katzengold, und keines der Gebäude spiegelte auch nur ansatzweise die Pracht des Seelie-Königreichs wider.
Endlich erreichten sie das Nordtor und wurden kommentarlos von den hier stationierten Wachen durchgewunken. Der Durchlass war nicht besonders hoch, doch recht breit, sodass mehrere Fahrspuren nebeneinander Platz hatten. Einen Moment lang lag Selas Welt im Dunkeln, als die Kutsche durch das Tor in der Stadtmauer rollte und sie fröstelte, was nicht allein daran lag, dass es hier etwas kühler war als in der Sonne. Dann waren sie auf der anderen Seite, und das legendäre Smaragdstadt breitete sich vor ihnen aus.
In den Straßen nahe dem Stadttor standen die neuesten Gebäude. In ihnen waren Läden, Schenken und Ställe zu finden. Ein süßer, fast angenehmer Duft drang ins Innere der Kutsche - eine Mischung aus Bier, Sägemehl und Pferdemist. Der Geruch nach gebratenem Spanferkel stieg Sela in die Nase und machte ihr den Mund wässrig. Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie seit ihrer Abreise aus Haus Katzengold nichts mehr gegessen hatte. Everess' Nasenspitze zuckte angesichts all der Gerüche missbilligend auf und ab. Er schloss die Vorhänge auf seiner Seite und entzündete eine Duftkerze in einem der Kerzenhalter.
»Ob wir wohl bald was zu Essen bekommen?«, sagte Sela und unterbrach so das Schweigen, das fast die gesamte Fahrt über zwischen ihnen geherrscht hatte.
»Was?«, fragte Everess irritiert. »Aber ja. Ich muss mich entschuldigen. Ich selbst nehme nur eine Mahlzeit täglich zu mir - ich halte die Nahrungsaufnahme für reine Zeitverschwendung, die ich
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