Schattenspäher

stationiert wurde.
    - Stil-Eret, »Smaragdstadt«, aus Reisen daheim und unterwegs
    Silberdun, der wieder Gefallen an hoffähiger Kleidung gefunden hatte, wenn nicht gar an deren Wirkung, wurde am Morgen nach dem Abendessen mit Everess, Heron und Glennet in der Kaserne vorstellig. Ein mürrischer Korporal nahm seine Visitenkarte entgegen und wies ihn an zu warten. Kurz darauf bedeutete er Silberdun, ihm zu folgen, wobei der Soldat ein solches Tempo an den Tag legte, dass Silberdun ihm beinahe hinterherjagen musste. Der Korporal geleitete den Besucher zu einem kleinen Besprechungszimmer, bedeutete ihm einzutreten und schloss dann hinter ihm die Tür. Silberdun war allein im Raum. Er setzte sich und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, schaute aus dem Fenster hinaus auf die Promenade. Auf der breiten Prachtstraße flanierten die Seelie scheinbar sorglos und ohne erkennbares Ziel, dafür lachend und schwatzend unter der Mittagssonne dahin.
    Die Tür öffnete sich, und Mauritane trat in den Raum. Er trug eine Uniform, die Silberdun noch nie an ihm gesehen hatte: den Waffenrock eines Generals der Seelie-Armee.
    »Schön dich wiederzusehen, alter Freund«, sagte Mauritane und ergriff Silberduns Hand. Sie hatten sich nun ein Jahr lang nicht mehr getroffen, aber Mauritane schien um fünf Jahre gealtert zu sein. Doch trotz der vereinzelten grauen Strähnen in seinen langen Zöpfen wirkte er zufrieden, wenn nicht glücklich. Silberdun konnte sich nicht erinnern, Mauritane in all der Zeit, die sie sich nun kannten, zufrieden erlebt zu haben.
    »Das Eheleben und die militärische Verantwortung scheinen dir gut zu bekommen«, sagte Silberdun. »Wie geht es Raieve?«
    »Sie ist noch in Avalon.« Ein Teil von Mauritanes Zufriedenheit schien sich zu verflüchtigen. »Wir sehen einander nicht so häufig, aber wir kommen zurecht.«
    »Dann seid ihr also noch verliebt?«
    »Sehr sogar.« Es war seltsam; Mauritane sprach in derselben Art über die Liebe, wie er übers Töten sprach. Silberdun erinnerte sich, dass der Freund über ein eher begrenztes Repertoire an gefühlsbetonten Äußerungen verfügte.
    »Und du?«, fragte Mauritane. »Ich bin doch recht erstaunt, dich hier zu sehen. Das Letzte, was ich von dir hörte, war, dass du dein Leben Aba gewidmet hast und im Tempel nun die Weihrauchfässer schwingst.« Lag da ein spöttischer Unterton in seiner Stimme?
    Silberdun rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Das klappte nicht ganz so wie geplant«, sagte er. »Offensichtlich ist das religiöse Leben doch nichts für mich. Jedenfalls glaubt das jeder, den ich treffe.«
    Mauritane kicherte. »Das hätte ich dir auch vorher sagen können«, meinte er. »Obwohl ich immer gewillt bin, deine Absichten vorurteilsfrei zu bewerten.« Er machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Wenn Männer Seite an Seite miteinander gekämpft haben, lernen sie einander auf eine ganz besondere Weise kennen. Du mimst gern den desillusionierten Einzelgänger, doch du besitzt eine Tiefgründigkeit, die du nicht immer verstecken kannst.«
    Mauritanes Einschätzung war knapp und präzise wie immer.
    »Ich nehme das als Kompliment und bleibe der, der ich bin.«
    Endlich setzte sich Mauritane. »Es war durchaus als Kompliment gemeint.«
    Er klopfte Silberdun auf die Schulter. Eine Geste, die nicht ganz die gewünschte Wirkung erzielte, doch aufgrund von Mauritanes Gabe der Führerschaft war es schwierig, nicht von ihr berührt zu werden. »Und nun sprich, was führt dich zu mir?«, fragte er Silberdun. »Willst du in unsere Reihen eintreten? Wir sind stets auf der Suche nach guten Infanteristen, obwohl sich sicherlich auch ein Plätzchen als Militärgeistlicher für dich finden ließe.«
    Ein Scherz?! Wer war dieser Mann, der dem alten Mauritane so ähnlich war und der sich doch so ... umgänglich gab?
    »So nehme ich also an«, sagte Silberdun, »dass Lord Everess dir noch nicht von dem Plan berichtet hat, die Schatten wieder ins Leben zu rufen?«
    Mauritanes Lächeln erstarb. »Wovon redest du?«
    »Nun, gestern Abend hatte ich das unverhoffte Vergnügen, mit Everess und einigen anderen Honoratioren zu dinieren. Man sprach über Krieg, und es folgte eine flammende Ansprache von Everess darüber, wie sich das Wesen der Kriegsführung verändert hat. Dann versuchte er mich für eine fidele Truppe von Spionen zu gewinnen - die Schatten sollen wiederauferstehen. Sehr interessant, das Ganze.«
    »Verstehe.« Mauritane klopfte mit dem Finger einen