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Schattenspäher

Schattenspäher

Titel: Schattenspäher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Sturges
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Katzengold als Gäste auf einem Landsitz zu betrachten. Und das Personal verhielt sich dementsprechend zuvorkommend. Viele der Insassen glaubten es sogar selbst, und jene, die es - wie Sela - nicht taten, spielten mit. Es war angenehm, wie eine noble Dame behandelt zu werden, selbst wenn die noble Dame das Anwesen nicht verlassen durfte. Und allemal angenehmer als ihr früheres Leben sowieso.
    Das Herrenhaus ist sehr groß, größer als alles, was Sela jemals gesehen hat, und größer als alles, wovon sie je zu träumen wagte.
    Mutter hatte gesagt, dass sie ein beneidenswertes Mädchen sei und alles tun müsse, was Lord Tanen und seine Dienerschaft von ihr verlangen. Sela ist von nun an Lord Tanens Mündel, doch sie weiß nicht, was das Wort bedeutet. Mutter hatte gesagt, sie käme schon recht bald zu Besuch, doch später dann hatte Sela Mutter und Vater im Bett miteinander flüstern gehört. Vater hatte gesagt: »Warum hast du sie angelogen? Wir werden sie nie wiedersehen.« Und Mutter hatte nur geweint und erwidert: »Was hätte ich denn tun sollen?«
    Im Herrenhaus hat man ein wunderschönes Zimmer für sie hergerichtet. So schön, so entzückend, dass sie Mutter und Vater und ihre Freunde im Dorf zunächst ganz vergaß.
    In der Nacht jedoch, da weint sie vor Sehnsucht nach ihrer Familie.
    Lord Tanen nennt die drei alten Frauen »Vetteln«. Und er sagt, sie muss alles tun, was die Vetteln ihr auftragen. Er sagt auch, dass er zurückkommt und sie bestraft, wenn sie nicht gehorcht.
    »Wo seid Ihr denn?«, fragt Sela.
    »Ich weile in der Stadt«, sagt er. »Aber ich komme gelegentlich zu Besuch.«
    Lord Tanen ist ein Greis, und seine Haut ist so verwittert wie Vaters alter Sattel. Sein Atem stinkt sauer. Sela mag ihn nicht, daher ist sie froh, dass er wieder abfährt.
    »Willst du nicht wissen, warum ich dich herbringen ließ?«, fragt er sie.
    Darüber hat sie noch gar nicht nachgedacht. Sie weiß nicht, was ein Mündel ist, aber sie ist ein gutes Mädchen und tut alles, was man ihr sagt.
    »Warum?«, fragt sie daher, denn er scheint es von ihr zu erwarten.
    »Weil ich sehr, sehr lange und überall nach einem so besonderen Mädchen wie dir gesucht habe«, sagt er. »Wusstest du denn nicht, dass du was ganz Besonderes bist?«
    »Nein.«
    »Und willst du wissen, was dich zu etwas ganz Besonderem macht?«
    »Ja.«
    »Es könnte in dir eine ganz besondere Gabe schlummern. Weißt du, was Gaben sind?«
    »Magie«, sagt Sela. Das weiß doch jeder. »Es gibt zwölf Gaben. Aber Kinder besitzen keine Gaben und das Landvolk auch nicht.«
    »Das trifft im Wesentlichen zu«, sagt Lord Tanen. »Kinder können ihre Gaben nicht nutzen; sie manifestieren sich erst im Laufe der Pubertät. Doch man kann dergleichen schon früh erkennen. Und obwohl es stimmt, dass die Gaben unter den niederen Ständen weit seltener verbreitet sind, gibt es auch dort Ausnahmen.«
    Sela versteht nicht, worauf Tanen hinauswill und fängt an, sich zu langweilen. Sie schaut sich in ihrem Schlafzimmer nach einem Spielzeug um.
    »Darf ich die Puppe da haben?«, fragt sie.
    »Du wirst keine Zeit haben, um mit Puppen zu spielen«, sagt Tanen.
    Sela saß still im Teesalon, als Lord Everess in den Raum trat und sich den Regen aus dem Haar schüttelte. Er war ein auf den ersten Blick heiter wirkender Mann, doch bei näherer Betrachtung war er alles andere als das. Selbst mit dem Verfluchten Objekt, das sie stets im Griff hatte, konnte Sela dies spüren.
    »Sela«, sagte Everess mit einer knappen, wenngleich der annehmbarsten Verbeugung, die ein Adliger einer Frau ohne jeden sozialen Status entgegenbringen konnte. Normalerweise wäre es einem Mann wie Everess unmöglich, sie überhaupt anzusprechen, insofern existierte zwischen ihren Ständen keine wie auch immer angemessene Begrüßung.
    »Lord Everess.« Sela erhob sich und vollführte einen artigen Knicks, wie man es sie seit frühester Kindheit gelehrt hatte. Stets gefällig, stets fügsam.
    Nein. Das hier war nicht Lord Tanen. Nicht alle Lords waren gleich. Das hatte Everess ihr gesagt.
    Sie sah ihm direkt ins Gesicht. »Wie darf ich Euch zu Diensten sein, Lord?«
    Everess lächelte. Dann zog er eine riesige Pfeife aus seinem weiten Mantel und zündete sie an. Schweigend paffte er eine Weile, bevor er sprach.
    »Lass mich dir eine Frage stellen, kleines Fräulein. Wie gefällt es dir hier?«
    Falls Everess eine höfliche Antwort erwartete, würde Sela ihn enttäuschen müssen. »Ich hasse es hier«, sagte sie

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