Schattenspäher
werden könne.
»Zum Wohle des Kaiserreichs«, hatte Valmin gesagt und dabei ein zuversichtliches Lächeln aufgesetzt. »Denkt nur an all die Soldaten, die ihre Feinde im Feld dahinschlachten, an all die Generäle, die ihre Truppen ins Gefecht schicken, wohl wissend, dass nicht alle von ihnen wieder zurückkehren werden. Alle großen Unternehmungen«, so hatte Valmin hinzugefügt, »beherbergen tief in ihrem Innern etwas unsagbar Finsteres. Insofern ist es doch besser, das Ding beim Namen zu nennen und unter Kontrolle zu bringen, damit es nur jenen schadet, denen es schaden soll.«
Was Valmin ihm nicht erzählt oder was womöglich selbst er nicht gewusst hatte, war, dass die Beschäftigung mit Schwarzer Kunst alles andere als ein Zuckerschlecken war. Sie war ein mächtiges Instrument, doch sie zehrte auch an einem, sowohl geistig als auch körperlich und emotional, und das Gefühl von ... Timha konnte es nur als Sündhaftigkeit beschreiben, verließ einen nie. Und das, obwohl er weder an Aba noch an die chthonische Lehre oder an irgendetwas dieser Art glaubte. Die Schwarze Kunst wühlte sich in einen hinein, fraß sich tief in jeden Knochen und jede Faser des Körpers. Sicher, man erzielte mit ihrer Hilfe beeindruckende Ergebnisse, doch jeden Tag hatte Timha aufs Neue das Gefühl, als würde dabei auch ein Stück seiner Seele aufgezehrt.
Und das war der Stand der Dinge, noch bevor der ganze Ärger angefangen hatte.
Das Dilemma begann mit einer Entdeckung, die Timha gemacht hatte, als er eine außerordentlich komplizierte Passage in den Notizen von Hy Pezho studierte, welcher der Urheber des Projekts war. Er hatte den Absatz wieder und wieder gelesen, versucht, seine wahre Bedeutung zu verstehen und es nicht vermocht. Schließlich legte er die betreffende Textstelle Valmin vor, der sich damit für ein paar Tage in sein Quartier zurückzog. Als Valmin wieder auftauchte, sah er alles andere als glücklich aus. Ja, ihre Aufgabe würde weitaus schwieriger werden, als es zunächst den Anschein hatte.
Valmin hatte den ehrenvollsten Teil des Projekts übernommen und sich die Arbeit daran mit Timha und einer kleinen Schar Auserwählter geteilt, weil sie als die Besten der Besten auf ihrem Gebiet galten. Und nun waren sie es, denen die Bel Zheret die Kehlen aufschlitzen würden, wenn sie versagten. Alle anderen würden einfach nach Hause geschickt werden, womöglich unehrenhaft entlassen, doch höchstwahrscheinlich nicht einmal das. Valmin, Timha und die anderen jedoch würden ausgenommen werden wie tote Fische und dann tief unten in den stinkenden Eingeweiden der Geheimen Stadt entsorgt. Gleich dort, wo sich auch das Rohmaterial für die Schwarze Kunst fand.
Timha erschauderte bei dem Gedanken. Das, was unter der Geheimen Stadt lag, beunruhigte ihn noch mehr als der verrückte Himmel darüber.
Nichts war wie es sein sollte.
Timha hielt sich nur allzu gern mit seinem Frühstück auf, doch irgendwann war er auch damit fertig. Durch einen verschlungenen Korridor machte er sich auf den Weg zu Meister Valmins Kammern. Der Eingang wurde von zwei bewaffneten Männern bewacht, die Timha hineinließen, nachdem sie mit einem Lügenstab über seinem Kopf herumgewedelt hatten, um etwaiges Blendwerk aufzuheben. Der Griff um ihre Waffen entspannte sich erst, als sie zu dem Schluss kamen, dass Timha auch wirklich Timha war.
In Valmins Arbeitszimmer roch es nach verbranntem Tee, Kreide und bitteren Kräutern. Valmin selbst stand schon an seinem Studiertisch, als Timha eintrat. Im Raum türmten sich die Bücherstapel; sie enthielten zumeist Literatur, die dem gemeinen Volk nicht zugänglich war. Manche Bücher waren gar von Mab selbst verboten worden und ihre Lektüre selbst Meister Valmin strengstens untersagt. Die Tatsache, dass ebenjene Bücher nun aufgeschlagen auf seinem Tisch lagen, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie in großen Schwierigkeiten steckten.
Sämtliche Wände wie auch der Boden des großen Raums waren mit Schieferplatten verkleidet. Sie waren seinerzeit von den Elementaristen-Reisenden angebracht worden, die ohne Zweifel dabei geflucht haben mussten, nichtsdestotrotz aber hervorragende Arbeit geleistet hatten. Fast jeder freie Fleck an den Wänden war bedeckt von arkanen Siegeln, mathematischen Gleichungen, apothekarischen Symbolen und Diagrammen, die den Tanz im Herzen des Projekts beschrieben, allesamt niedergeschrieben mit weißer Kreide.
Timha stellte fest, dass Valmin über Nacht einige der
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