Schattenspäher
Sie liebten einander.
Am Eingang zur Stadt senkten die dortigen Wachen ebenfalls ihren Blick wie ihre Waffen und ließen Hund und Natter passieren. Die Bel Zheret glitten durch die Pforte, und die Säume ihre Roben liebkosten dabei aufs Anmutigste das Straßenpflaster.
Sobald das Paar hinter dem Schilderhäuschen verschwunden war, holte der hier wachhabende Feldwebel eine Botenfee aus ihrem Futteral, gab ihr einige eindringliche Instruktionen und ließ sie frei. Das kleine Geschöpf flog davon, in für ihre Art ungewöhnlicher Eile.
Hoch oben, am Eingang zum Forschungsbereich, nahm der dort wachhabende Soldat die Botenfee in Empfang. Als er die Nachricht vernahm, weiteten sich seine Augen vor Schreck. Er gab seiner Kollegin ein Zeichen, die sich daraufhin rasend schnell in Bewegung setzte.
Die Bel Zheret waren unterwegs!
Bedächtig nahmen Hund und Natter die Treppe zum umgebauten Palast hinauf, wo die Forscher an dem Projekt arbeiteten. Sie gingen gemessenen Schrittes, beinahe kunstvoll. Das ganze Leben war ihnen Kunst; die Bel Zheret erfassten es nahezu instinktiv. Ästhetik ist die höchste Stufe der Erkenntnis.
Die Stadt war kalt und trocken. Ihre engen zugigen Gassen wirkten wie ausgestorben, wie schon seit Jahrhunderten. Ein makelloser Ort. Dies bemerkte Hund auch Natter gegenüber, und Natter fand ebenfalls, dass die Stadt ein erfreulicher Anblick sei. Erfreulich und befriedigend.
Oben auf dem Treppenabsatz erhob sich der Palast in den Himmel. Hund und Natter fanden den Himmel nicht ausnehmend erfreulich, andererseits tat das bekanntermaßen niemand. Bis auf Mab vielleicht? Ja, so musste es sein, andernfalls hätte sie ihn nicht in diesem Zustand zurückgelassen. Die Wachleute vor dem Palastzugang standen steif und reglos da, starrten unverwandt geradeaus. Sie waren zweifelsohne über das Eintreffen der Bel Zheret informiert worden. Auch das erfreute Hund und Natter. Auch Furcht war etwas Zufriedenstellendes.
Im Innern des Palasts hielten Hund und Natter unvermittelt inne. Dieser Gestank nach Essen, Faeschweiß, Müll und Fleischabfällen. Unerfreulich. Und alles andere als zufriedenstellend.
Hund drehte sich zu einer der Wachen um. »In diesen Mauern herrscht ein unguter Geruch. Kümmere dich darum.« Die Wache wirbelte auf dem Absatz herum und rannte, was das Zeug hielt.
Das Paar glitt in den Gemeinschaftsraum, in dem schlaffe, verschwitzte und behaarte Forschungsthaumaturgen und deren Gehilfen so taten, als hätten sie in den letzten fünf Minuten nicht wie verrückt sauber gemacht oder Dinge fortgeräumt oder sogar zerstört, auf dass Hund und Natter sie nicht zu Gesicht bekamen. Auch dies ein zufriedenstellendes Verhalten. Nur zu bereitwillig spielten die beiden mit bei dieser Farce - ein weiterer instinktiver Wesenszug. Gefürchtet zu werden ist ein Privileg. Missbrauche es nicht.
Hund drehte sich zu dem Mann um, der am feigsten von allen stank. »Wo ist Meister Valmin zu finden?«, fragte er. Hunds Stimme war sanft, die Wortwahl präzise.
Der Feigling zitterte, aber seine Stimme klang fest. »Da durch«, sagte er und deutete in einen der Gänge, »und dann die letzte Tür rechts.«
Hund und Natter trafen Valmin in Gesellschaft seines Reisenden Timha an. Auch diese beiden Männer gaben vor, überaus eifrig am Projekt zu arbeiten.
»Willkommen«, sagte Valmin, verzichtete jedoch darauf, seinen Gästen irgendetwas anzubieten. Er hatte mit den Bel Zheret bereits seine Erfahrungen gemacht.
»Erstattet Bericht«, kam Natter gleich zur Sache. Es war ökonomischer so, und Valmin wusste ja bereits, warum die beiden hier waren. Ökonomie war wichtig. Erziele das Optimum mit dem Minimum.
»Ja«, sagte Valmin. Er räusperte sich und hielt ihnen ein ledergebundenes Dokument hin. »Hier ist der vollständige Rapport.« Natter nahm den Bericht an sich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und ließ ihn zwischen den Falten seiner Robe verschwinden.
»Eine Zusammenfassung, wenn's recht ist?«, forderte Hund.
»Wir haben erhebliche Fortschritte mit dem Gehäusesystem und den Sicherheitsfeldern gemacht. Und wir sind kurz davor, eine Hypothese über den zugrunde liegenden Mechanismus aufzustellen.«
»Kurz davor?« Hunds Stimme war noch immer seidenweich. »Eine Hypothese?«
Natter mischte sich ein. »Mit anderen Worten: Ihr habt einen hübschen Kasten gebaut, wisst aber immer noch nicht, was in ihm vor sich geht. Jedoch habt ihr mittlerweile fast so etwas wie eine Ahnung, was eine seiner möglichen
Weitere Kostenlose Bücher